Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
als gefährliche Abweichung von den Lebensbedingungen, die uns von der Natur gegeben sind. Wir Menschen haben dieser Auffassung zufolge einen Prozess in Gang gesetzt, den wir nicht mehr kontrollieren können. Optimistischere Seelen glauben, dass wir noch immer in der Kindheit der Technik leben. Die technische Zivilisation, so meinen sie, hat zwar ihre Kinderkrankheiten, aber schließlich werden die Menschen doch lernen, die Natur zu beherrschen, ohne sie lebensgefährlich zu bedrohen.«
»Was meinst du selber?«
»Dass vielleicht beide Standpunkte ein wenig Recht haben. In einigen Bereichen dürfen die Menschen nicht mehr in die Natur eingreifen, in anderen können wir das getrost tun. Sicher ist jedenfalls, dass kein Weg ins Mittelalter zurückführt. Seit der Renaissance ist der Mensch kein bloßer Teil der Schöpfung mehr. Der Mensch greift selber in die Natur ein und formt sie nach seinen eigenen Vorstellungen. Das sagt uns etwas darüber, was der Mensch für ein erstaunliches Geschöpf ist.«
»Wir sind schon auf dem Mond gewesen. Kein Mensch des Mittelalters hätte das doch für möglich gehalten?«
»Nein, da kannst du Gift drauf nehmen. Und das bringt uns zum neuen Weltbild . Das ganze Mittelalter hindurch waren die Menschen unter dem Himmel herumgegangen und hatten zu Sonne und Mond, Sternen und Planeten hochgeschaut. Aber niemand hatte bezweifelt, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums war. Keine Beobachtungen hatten Zweifel darüber aufkommen lassen, dass die Erde fest stand und die ›Himmelskörper‹ um sie kreisten. Diese Vorstellung bezeichnen wir als geozentrisches Weltbild . Auch die christliche Vorstellung, dass Gott über allen Himmelskörpern thront, trug zum Bestand eines solchen Weltbildes bei.«
»Ich wünschte, es wäre so einfach.«
»Aber im Jahre 1543 erschien ein Werk mit dem Titel ›Sechs Bücher über die Umläufe der Himmelskörper‹. Geschrieben hatte es der polnische Astronom Kopernikus , der am selben Tag starb, an dem sein bahnbrechendes Werk erschien. Kopernikus behauptete, dass sich nicht die Sonne um die Erde drehe, sondern die Erde um die Sonne. Er hielt das jedenfalls aufgrund der Beobachtungen für möglich, die bisher über die Himmelskörper vorlagen. Wenn die Menschen geglaubt hatten, die Sonne drehe sich um die Erde, dann lag das, meinte er, nur daran, dass sich die Erde um ihre eigene Achse drehte. Er wies darauf hin, dass alle Beobachtungen der Himmelskörper viel leichter zu verstehen sind, wenn wir voraussetzen, dass sich die Erde und die anderen Planeten in kreisförmigen Bahnen um die Sonne bewegen. Diese Auffassung nennen wir das heliozentrische Weltbild , das heißt, dass sich alles um die Sonne dreht.«
»Und dieses Weltbild ist richtig?«
»Nicht ganz. Kopernikus’ wichtigster Punkt – also dass sich die Erde um die Sonne dreht – trifft natürlich zu. Aber er hielt die Sonne für den Mittelpunkt des Universums. Heute wissen wir, dass die Sonne nur einer von zahllosen Sternen ist – und dass alle Sterne um uns herum nur eine unter vielen Milliarden von Galaxien ausmachen. Kopernikus glaubte außerdem, dass sich die Erde und die anderen Planeten in kreisförmigen Bahnen um die Sonne bewegten.«
»Und stimmt das nicht?«
»Nein, für die kreisförmigen Bewegungen hatte er keinen Beleg außer der alten Auffassung, die Himmelskörper seien kugelrund und beschrieben kreisförmige Bahnen, einfach weil sie ›himmlisch‹ seien. Schon seit Platons Zeiten wurden Kugel und Kreis als die vollendetsten geometrischen Figuren betrachtet. Aber zu Beginn des 17. Jahrhunderts konnte der deutsche Astronom Johannes Kepler die Ergebnisse von umfassenden Beobachtungen vorlegen, die bewiesen, dass die Planeten sich in elliptischen – oder ovalen – Bahnen um die Sonne als Brennpunkt bewegen. Er wies außerdem nach, dass die Planeten sich am schnellsten bewegen, wenn die Sonne am nächsten ist. Schließlich bewies er noch, dass sich ein Planet immer langsamer bewegt, je weiter er von der Sonne entfernt ist. Erst durch Kepler wurde klargestellt, dass die Erde ein Planet wie alle anderen ist. Kepler betonte außerdem, dass überall im Universum dieselben physikalischen Gesetze gelten.«
»Wie konnte er da so sicher sein?«
»Er konnte sicher sein, weil er die Bewegungen der Planeten mit seinen eigenen Sinnen untersucht hatte, statt sich blind auf die Überlieferungen aus der Antike zu verlassen. Ungefähr gleichzeitig mit Kepler lebte der bekannte italienische
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