Sog des Grauens
in der sie sitzen konnten.
Hier klappte Rawsthorne schließlich zusammen. Ihn hatte nur noch der Wille, die Frauen in Sicherheit zu bringen, aufrechterhalten, und jetzt, da er sein Ziel erreicht hatte, lehnte sich sein Körper gegen die erlittene Mißhandlung auf. Julie sah erschrocken sein graues Gesicht und seine schlaffen Lippen. »Fühlen Sie sich nicht gut, Mr. Rawsthorne?«
»Ich komme schon wieder zurecht, mein Kind.« Er brachte ein schwaches Lächeln zustande und bewegte seine Hand ein wenig. »In meiner Tasche … Flasche … Rum. Wir … brauchen … alle …«
Sie fand den Rum, öffnete die Flasche und hielt sie ihm an die Lippen. Der scharfe Sprit schien ihm gutzutun, denn es kehrte etwas Farbe in seine Wangen zurück, oder es kam ihr wenigstens so vor, es war in dem Dämmerlicht schwer zu erkennen. Sie wandte sich Mrs. Warmington zu, die ebenso schlapp dalag, und goß ihr etwas von dem Rum zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch in den Mund.
Sie wollte eben selbst etwas trinken, als es einen ohrenbetäubenden Krach gab. Grellblaues Licht blendete sie, und darauf folgte ein Donnergrollen. Sie rieb sich die Augen, und dann hörte sie den Regen, die schweren Tropfen, die auf den staubigen Grund klatschten. Sie kroch aus ihrem kleinen Unterschlupf hinaus und ließ sich das Gesicht beregnen, öffnete den Mund und ließ die Tropfen hineinfallen. Durstig sog sie den Regen auf, durch ihren Mund und durch ihre Haut, Sie spürte ihr Hemd naß an ihrem Körper kleben. Das Wetter tat ihr gut, besser, als der Rum ihr getan hätte.
***
Der Wind brauste tosend über St. Pierre und fachte die Flammen an, so daß das Feuer breite Straßen übersprang und es bald aussah, als würde die ganze Stadt zu einem unlöschbaren Feuerofen.
Dann kam der Regen und löschte das Feuer in fünfzehn Minuten. Es regnete über fünf Zentimeter in der ersten Stunde; ein bitterer, schmerzhafter Guß, die schweren Tropfen, vom Wind getrieben, platzten wie Schrapnelle, wo sie auftrafen. Causton hatte noch nie erlebt, daß Regen schmerzte; er hatte nie gedacht, daß Wassertropfen so groß sein könnten oder daß sie einen mit solch lähmender Wucht treffen könnten. Zuerst hielt er sie für Hagel, aber dann sah er die Tropfen auf dem Boden vor dem Loch zerspritzen, und jeder schien so groß zu sein, daß er eine Tasse gefüllt hätte. Er blinzelte und wischte sich das Haar aus dem Gesicht. Dann traf ihn ein Tropfen mit so erschreckender Wucht seitlich im Gesicht, daß er sich auf den Boden des Loches duckte. Dawson stöhnte vor Schmerzen, drehte sich auf die Seite und hielt seine verbundenen Hände unter den Körper, um sie gegen den Regen zu schützen. Keiner hörte seinen plötzlichen Aufschrei, nicht einmal Causton, der neben ihm kauerte, weil das Getöse des Sturms nun so stark war, daß es alle anderen Laute übertönte.
Wyatt interessierte das Windgeräusch beruflich. Er schätzte, daß die Windgeschwindigkeit plötzlich auf Stärke zwölf angestiegen war, die höchste Stufe der Beaufortskala. Der alte Admiral Beaufort hatte die Skala für Segelschiffskapitäne aufgestellt und war dabei vernünftig vorgegangen – seine Stärke zwölf entsprach einer Windgeschwindigkeit, bei der nach seiner Meinung kein vernünftiger Seemann auf See sein würde, wenn er es vermeiden konnte. Windstärke zwölf entspricht fünfundsiebzig Knoten oder hundertzwanzig Kilometern pro Stunde, und den Admiral interessierten höhere Windgeschwindigkeiten nicht, weil sie auch einem Kapitän, der in extremis von ihnen überrascht wurde, gleichgültig sein konnten. Für einen plötzlichen Tod brauchte man keine Gradeinteilung.
Aber die Zeiten hatten sich geändert seit Admiral Beaufort, und Wyatt, der mitgeholfen hatte, sie zu verändern, wußte das sehr gut. Ihn interessierte hier nicht der Einfluß des Windes auf ein Segelschiff, sondern auf eine Insel, auf die Gebäude einer Stadt. Ein Wind von Stärke zwölf übt einen Druck von dreiundachtzig Kilogramm auf einen Quadratmeter aus, über drei Tonnen auf die Seite eines durchschnittlichen Hauses. Ein vernünftig gebautes Haus kann diesen Druck aushalten, aber dieser Hurrikan würde nicht vernünftig sein.
Die höchsten Windgeschwindigkeiten in den stärksten Böen von Mabel waren auf 270 Kilometer pro Stunde geschätzt worden, das würde einen Druck von fast fünfhundert Kilogramm auf einen Quadratmeter ergeben. Das reichte, um einen Menschen von den Füßen zu reißen und so weit durch
Weitere Kostenlose Bücher