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Sog des Grauens

Titel: Sog des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bagley Desmond
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sagte: »Ich nehme an, sie sind auf Regenfälle angewiesen. Nun, sie werden bald eine Menge davon kriegen – sehen Sie sich einmal um!«
    Der südliche Himmel war dunkel von Wolken, und die Sonne war von einem dickeren Grau verschleiert. Es war merklich kühler, und aus der Brise war ein kräftiger Wind geworden. In der Ferne, anscheinend sehr weit weg, hörten sie immer noch den Kanonendonner, und er beeindruckte Julie jetzt sehr viel weniger. Sie hätte aber nicht sagen können, ob das die Entfernung machte oder ob weniger geschossen wurde.
    Rawsthorne beunruhigte das nahende Unwetter. »Wir können uns jetzt nicht aufhalten. Wir müssen nur noch dort hinüber.« Er zeigte auf einen noch höheren Bergrücken, der genau vor ihnen lag. »Da liegt der Negrito.«
    »O Gott!« sagte Mrs. Warmington. »Das schaffe ich nicht – das schaffe ich unmöglich.«
    »Sie müssen«, sagte Rawsthorne. »Wir müssen an einen Nordhang, und der ist auf der anderen Seite. Kommen Sie!«
    Julie stieß Mrs. Warmington, bis sie aufstand, und sie ließen die Hütten zurück. Sie sah auf die Uhr – es war halb fünf Uhr nachmittags.
    Um halb sechs hatten sie das Plateau überquert und waren halb den Berg hoch, und aus dem Wind war ein starker Sturm geworden. Es schien viel früher dunkel zu werden als sonst – die Wolken hingen jetzt schwer über ihnen, aber es war noch kein Regen gefallen. Der Wind zerrte bei ihrem Aufstieg an ihren Kleidern und schüttelte sie unbarmherzig, und mehr als einmal verlor einer von ihnen das Gleichgewicht und rutschte in einem kleinen Bergrutsch aus Staub und kleinen Steinen zurück. Der Wind peitschte die Äste der verkrüppelten Bäume, daß sie wie gefährliche Flegel hin und her schlugen, und die trockenen Blätter wurden von dem Sturm über den Berghang gefegt.
    Es dauerte eine scheinbare Ewigkeit, bis sie den Kamm erreichten, und auch dann konnten sie den Negrito noch nicht sehen. »Wir müssen … hinunter … andere Seite«, schrie Rawsthorne gegen den Wind an. »Wir dürfen … nicht … bleiben …« Der Wind riß ihm den Atem ab, und er kämpfte sich geduckt weiter vor.
    Julie folgte und schubste Mrs. Warmington vor sich her. Sie wankten über den Kamm hinweg, wo sie der Wut des anwachsenden Hurrikans voll ausgesetzt waren. Sie waren von einem dicken, milchiggelben Licht umgeben, das fast zum Greifen schien, und der Staub wurde in Wolken von dem nackten Fels aufgewirbelt. Julie schmeckte ihn beim Laufen und spürte den Sand zwischen den Zähnen.
    Endlich gingen sie bergab und sahen den Boden des Negrito-Tals dreihundert Meter unter sich, schwach erleuchtet von dem unangenehmen gelben Licht. Sobald sie den Bergkamm hinter sich hatten, spürten sie etwas Erleichterung, und Rawsthorne blieb stehen und sah erstaunt ins Tal hinunter. »Teufel, was ist dort unten los?«
    Zuerst konnte Julie nicht sehen, was er meinte, aber dann bemerkte sie, daß es weiter unten an den Hängen krabbelte und daß dünne Menschenschlangen vom Tal heraufstiegen. »All die Menschen!« sagte sie verwundert. »Wo kommen die alle her?«
    Rawsthorne stieß ein kurzes Lachen aus. »Es gibt nur einen Ort, von dem sie kommen können – St. Pierre. Jemand muß sie herausgeschafft haben.« Er runzelte die Stirn. »Aber die Schlacht ist noch im Gange – meine ich. Hören Sie die Kanonen?«
    »Nein«, sagte sie, »nicht bei diesem Sturm.«
    »Ich überlege …«, sann Rawsthorne. »Ich überlege, ob …« Er vollendete den Satz nicht, aber Julie erfaßte, was er andeuten wollte, und ihr Herz wurde leicht. All die Menschen dort unten mußten St. Pierre verlassen haben, als noch niemand sehen konnte, daß ein Hurrikan kam, und soweit sie wußte, gab es nur einen Menschen, der davon überzeugt war, daß ein Hurrikan zu ihnen unterwegs war – ein geradliniger, hartnäckiger, unbeugsamer Mann – David Wyatt. Er lebt, dachte sie und spürte einen unerklärlichen Kloß im Hals. Gott sei Dank, er lebt!
    »Ich glaube nicht, daß wir gleich hinuntersteigen sollten«, sagte Rawsthorne. »Ist dort drüben nicht eine Schlucht?«
    Da war eine Rinne in dem Berghang, eine von Wetter und Wasser tief eingegrabene Schlucht, die von drei Seiten Schutz gegen den Sturm bieten würde. Sie gingen schräg hinüber und krochen die steile Wand der Schlucht hinunter. Hier spürten sie den Wind noch weniger, obwohl sie ihn über ihren Köpfen heulen hörten. Sie fanden eine kleine Höhlung unter einem großen Felsblock, beinahe eine Höhle,

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