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Sog des Grauens

Titel: Sog des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bagley Desmond
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die Luft zu schleudern, wie es dem Wind paßte. Es reichte, um eine Hauswand einzudrücken, einen starken Baum zu entwurzeln, den Mutterboden von einem Feld mitzunehmen, eine Plantage zu vernichten, ein Wellblechhüttenviertel dem Erdboden gleichzumachen.
    Wyatt hörte deshalb mit ungewöhnlichem Interesse auf das Tosen des Windes.
    Währenddessen hielt er den Kopf eingezogen und saß mit Causton und Dawson in einem Loch voll Wasser. Aus den beiden Abflußgräben schoß das Wasser wie aus Feuerlöschschläuchen unter vollem Druck, aber das Loch wurde nie leer. Es war, als säßen sie mitten in einem Fluß. Rings um sie schossen Bäche den Berg hinunter und gruben Rinnen in den weichen Boden. Wyatt wußte, das würde nicht lange dauern – die Windgeschwindigkeit stieg weiter, und bald würde der Wind stark genug sein, dieses Oberflächenwasser abzuheben und als feinen Sprühregen weiterzutragen. Das war ein Vorteil – noch nie hatte er gehört, daß jemand in einem Hurrikan verdurstet war.
    Dieser Regen, der in Millionen Tonnen herunterkam, war der Motor, der das Monstrum antrieb. Auf jeden Quadratkilometer, über den der Hurrikan hinwegziehen würde, würden durchschnittlich hunderttausend Tonnen Wasser fallen, wodurch ungeheure Wärmemengen zum Antrieb der kreisenden Winde freigesetzt würden. Es war eine große Turbine – fünfhundert Kilometer im Durchmesser und mit fast unvorstellbarer Leistung.
    ***
    Causton hatte ganz andere Gedanken. Zum erstenmal in seinem Leben hatte er richtig Angst. Bei seiner Arbeit hatte er es mit den Handlungen von Menschen zu tun, und den Menschen, das politische Tier, meinte er zu verstehen. Sein Arbeitsfeld war die Welt, und er fand sich an Unruheherden, wo Studenten in den Straßen von Großstädten demonstrierten und wo Kriegsbrände im grünen Dschungel aufflammten. Andere Kollegen berichteten über Erdbeben, Fluten, Lawinen – über die Naturkatastrophen.
    Er hatte immer gewußt, wenn er in Schwierigkeiten kam, konnte er sich irgendwie herausreden, weil er es mit Menschen zu tun hatte, und mit Menschen konnte man reden. Jetzt fand er sich zum erstenmal in seinem Leben in einer gefährlichen Situation, in der Reden zwecklos war. Mit einem Hurrikan konnte man ebensowenig reden wie mit einem bengalischen Tiger; ja er war sogar noch schlimmer – den Tiger konnte man zumindest erschießen.
    Er hatte sich Wyatts Vortrag über Hurrikane auf Cap Sarrat mit oberflächlichem Interesse angehört, aber seine Neugierde hatte sich mehr auf Wyatt gerichtet als auf den Gegenstand des Gesprächs. Jetzt wünschte er sich, er hätte genauer zugehört und sich mehr interessiert. Er stieß Wyatt an und schrie: »Wie lange wird das dauern?«
    Die dunkle Gestalt drehte sich zu ihm um, und er spürte warmen Atem an seinem Ohr. »Was sagten Sie?«
    Er legte seinen Mund an Wyatts Ohr und brüllte: »Wie lange wird das dauern?«
    Wyatt drehte sich wieder um. »Etwa acht Stunden – dann gibt es eine kurze Pause.«
    »Was passiert dann?«
    »Weitere zehn Stunden, aber von der anderen Seite.«
    Causton war entsetzt; daß er diese Qual so lange aushalten sollte. Er hatte an etwa drei bis vier Stunden gedacht. Er schrie: »Wird es noch schlimmer?«
    Es war schwierig, irgendeine Bewegung aus Wyatts Antwort herauszuhören, aber er glaubte, kalten Humor herauszuhören. »Es hat noch gar nicht richtig angefangen.«
    Causton kroch tiefer in das Loch, der Regen hämmerte auf seinen Kopf, und er dachte: Wie kann es denn noch schlimmer werden?
    ***
    Die Sonne war untergegangen, und es war stockdunkel, die undurchdringliche Finsternis wurde nur von Blitzen durchbrochen, die immer häufiger wurden. Donner war aus dem allgemeinen Getöse nicht herauszuhören. Wyatt kam es so vor, als hätte sich das Geräusch verschärft – die Windgeschwindigkeit stieg noch weiter, obwohl es ohne Instrumente nicht möglich war, eine einigermaßen genaue Geschwindigkeit anzugeben. Eines war jedoch gewiß – sie lag weit über der oberen Grenze der Beaufortskala.
    Wyatt dachte belustigt an Caustons Frage: Wird es noch schlimmer? Der Mann hatte keine Vorstellung von den Naturgewalten. Man hätte mitten in diesem Hurrikan eine Atombombe zünden können, und das bißchen zusätzliche Energie wäre unbemerkt untergegangen – von dem größeren Aufruhr verschlungen. Und dieser ging noch. Gewiß war dieser Hurrikan ein böser Bursche, aber es hatte schon schlimmere gegeben – und es wurden schon viel höhere

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