Sog des Grauens
in einer besseren Verfassung als Mrs. Warmington. Jahre von Sahnekuchen und Bewegungsmangel hatten sie zu einem teigigen Fleischhaufen gemacht. Sie keuchte und humpelte hinter ihm her, ihre überüppigen Formen hüpften dabei, und die ganze Zeit jammerte sie und beklagte ihr Leid; ein Obligato zu dem Pfeifen des aufkommenden Windes.
Trotz ihrer Wunden war Julie die frischeste von den dreien. Obgleich ihre Beine von den Bajonettstichen steif waren und schmerzten, waren ihre Muskeln straff und zäh, und ihr Atem ging regelmäßig, während sie Mrs. Warmington folgte. Ihr hartes Tennisspiel machte sich jetzt bezahlt, und diese Bergtour machte ihr keine Schwierigkeiten.
Es war Rawsthorne, der den Plan gefaßt hatte. »Es hat keinen Sinn, weiter nach Osten zu gehen, um der Armee zu entgehen«, sagte er. »Das Gelände um St. Michel ist niedrig – und wir können auf keinen Fall hierbleiben, weil Rocambeau zurückgeschlagen werden könnte. Wir werden hinter dem Rücken seiner Armee über die Berge nach Norden wandern müssen – vielleicht bis zum Negrito.«
»Wie weit ist das?« fragte Mrs. Warmington besorgt.
»Nicht weit«, sagte Rawsthorne beruhigend. »Wir müssen etwa fünfzehn Kilometer laufen, bis wir ins Negrito-Tal sehen können.« Er sagte nicht, daß die Strecke durch schwieriges Gelände führte und daß das Land vielleicht von Deserteuren wimmelte.
Weil Rawsthorne Zweifel hatte, ob er die Steinbruchwand überwinden könnte – und private, unausgesprochene Zweifel an Mrs. Warmingtons Kletterkünsten –, schlichen sie den Weg in Richtung zur Hauptstraße hinunter. Vorsichtig sahen sie sich nach allen Seiten um; sie wollten nicht gern den Wachposten treffen, der in dieser Richtung verschwunden war. Sie verließen den Weg dort, wo sie schon das erstemal zu der Bananenplantage aufgestiegen waren, und Julie schnürte es die Kehle zu, als sie einen noch sichtbaren Fußabdruck von Eumenides auf dem staubigen Boden sah.
Die Plantage schien menschenleer zu sein, aber sie bewegten sich trotzdem mit aller Vorsicht. Sie schlichen sich zwischen den Staudenreihen so leise wie möglich durch. Rawsthorne führte sie zu der Mulde, wo sie die Löcher gegraben hatten, in der Hoffnung, dort noch etwas zu essen und, noch wichtiger, Wasser vorzufinden. Aber da war nichts mehr, nur vier leere Löcher und weggeworfene leere Dosen und Flaschen.
Julie blickte auf das Loch, das aufgefüllt worden war, und empfand großen Kummer bei dem Gedanken an den Griechen. Erst graben wir sie, dann begraben sie uns in ihnen. Für Eumenides war die Prophezeiung eingetroffen. Rawsthorne sagte: »Wenn es nicht wegen des Krieges wäre, würde ich vorschlagen, daß wir hierbleiben.« Er legte seinen Kopf schief. »Meinen Sie, daß der Kampflärm sich entfernt oder nicht?«
Julie horchte und schüttelte dann den Kopf. »Das ist schwer zu sagen.«
»Ja, das ist es«, sagte Rawsthorne. »Wenn Rocambeau wieder zurückgeworfen wird, kommt er hier wieder durch, und dann sind wir wieder, wo wir waren.«
Mrs. Warmington sah in die Mulde und schüttelte sich. »Lassen Sie uns von diesem schrecklichen Ort weggehen«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Er macht mir angst.«
Das soll er wohl, dachte Julie; du hast hier einen Mann getötet.
»Wir werden nach Norden gehen«, sagte Rawsthorne. »Durch dieses kleine Tal und über den nächsten Höhenrücken. Wir müssen aber vorsichtig sein; es könnten sich zu allem fähige Männer hier herumtreiben.«
Also gingen sie durch die Plantage, über den Wirtschaftsweg, umgingen vorsichtshalber die Zwangsarbeiterunterkünfte und stiegen auf der anderen Seite den Berg hinauf. Zuerst legte Rawsthorne ein scharfes Tempo vor, aber er konnte es nicht durchhalten und wurde allmählich langsamer, bis sogar Mrs. Warmington mitkommen konnte. Solange sie auf kultiviertem Land liefen, kamen sie trotzdem schnell genug voran.
Auf dem Kamm des ersten Rückens verließen sie die Bananenpflanzungen und kamen in die Ananasfelder, wo alles gutging, solange sie zwischen den Reihen liefen und sich vor den scharfen, spitzen Blättern in acht nahmen. Aber dann kamen sie ans Zuckerrohr, und da es ihnen nicht möglich war, quer durch das Dickicht zu gehen, mußten sie nach einem Weg suchen, der in ihre Richtung führte. Es war ein schmaler Weg durch das hohe grüne Rohr, das in dem Wind raschelte und knackte. Trotz der Brise und der Federwolken, die die Sonne verschleierten, war es immer noch sehr heiß, und Julie döste,
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