Sog des Grauens
hinaus. Sie überlegte, wo Rawsthorne wohl geblieben war. Niemand war in die Nähe der Mulde gekommen, und es schien, als ob sie auch weiterhin unentdeckt bleiben könnten, wenn sie still liegenblieben. Aber zuerst mußte sie nachsehen, aus welcher Richtung Gefahr am ehesten drohte.
Sie flüsterte Eumenides zu: »Ich gehe an den Rand der Mulde.«
Es raschelte unter den Bananenblättern. »Is' gut.«
»Verlassen Sie mich nicht!« flehte Mrs. Warmington und setzte sich auf. »Bitte gehen Sie nicht weg – ich habe Angst.«
»Sssch! Ich gehe nicht weit – nur ein paar Meter. Bleiben Sie hier, und seien Sie still!«
Sie kroch zwischen den Stauden davon und fand einen Platz, von dem aus sie die Pflanzungen übersehen konnte. In der trüben Morgendämmerung sah sie Männer laufen und hörte leises Gemurmel. Die nächste Gruppe war nur rund fünfzig Meter entfernt, aber die Männer schliefen alle. Sie lagen um die Glut eines ausgehenden Feuers gruppiert.
Sie war weggegangen, um ihre Tarnung bei Tageslicht, und bevor es zu spät war, zu prüfen. Deshalb sah sie jetzt in die Mulde zurück und entdeckte, daß die aufgegrabene Erde frisch aussah, aber das würde sich durch einige weitere Blätter beheben lassen. Die Löcher selbst fielen überhaupt nicht auf oder würden es nicht, wenn das verdammte Weib sich still verhalten würde.
Mrs. Warmington saß aufrecht da und sah sich nervös um, ihre Handtasche an die Brust gedrückt. »Bleib unten, dumme Pute!« hauchte Julie. Zu ihrer Überraschung öffnete Mrs. Warmington ihre Tasche, holte einen Kamm heraus und begann sich zu kämmen. Sie lernt es nie, dachte Julie verzweifelt; sie kann sich einfach nicht anpassen und ist von Gewohnheiten beherrscht. Sich morgens seiner Frisur zu widmen war ohne Zweifel eine lobenswerte Gewohnheit in einer Vorstadtwohnung, aber hier auf diesem grünen Berghang konnte sie den Tod bedeuten.
Sie wollte eben zurückhuschen und das Weib in ihr Loch zurückbefördern, mit Gewalt, wenn nötig, als sie eine Bewegung am gegenüberliegenden Rand der Mulde wahrnahm. Ein Soldat kam herunter. Er streckte seine Arme im Gehen, als wäre er eben aus dem Schlaf gekommen, und rückte den Gewehrriemen auf der Schulter zurecht. Julie verhielt sich ganz still und ließ ihren Blick zu Mrs. Warmington gehen, die sich in einem kleinen Spiegel betrachtete. Sie hörte deutlich das mißbilligende und sehr weibliche Geräusch, das Mrs. Warmington von sich gab, als sie sah, wie zerzaust sie aussah.
Der Soldat hörte es auch, nahm sein Gewehr von der Schulter und stieg sehr vorsichtig in die Mulde hinunter. Mrs. Warmington hörte das metallische Klicken, als er durchlud, und sie schrie, als sie ihn auf sich zukommen sah, und zerrte an ihrer Handtasche. Der Soldat blieb verwundert stehen. Dann verzog er sein Gesicht zu einem breiten Grinsen, und er kam näher und hängte sein Gewehr um.
Dann kamen drei trockene Knalle, die in der warmen Morgenluft widerhallten. Der Soldat schrie auf, drehte sich um sich selbst und fiel Mrs. Warmington vor die Füße. Er wand sich wie ein Fisch auf dem Trockenen, und seine Uniform färbte sich an der Schulter blutrot.
Eumenides kam aus seinem Loch wie ein Stehaufmännchen, als Julie zu laufen anfing. Als sie auf dem Grund der Mulde ankam, beugte er sich über den verletzten Soldaten, der schwer stöhnte. Er betrachtete verständnislos seine blutige Hand. »Er ist geschossen!«
»Er ging auf mich los«, kreischte Mrs. Warmington. »Er wollte mich vergewaltigen – mich umbringen.« Sie schwenkte eine Pistole in ihrer Hand.
Julie gab es ihr. Sie legte all ihre Kraft in die Ohrfeige. Sie war entschlossen, dieses hysterische Weib um jeden Preis zum Schweigen zu bringen. Mrs. Warmington war plötzlich still, und die Pistole entfiel ihren kraftlosen Fingern und wurde von Eumenides aufgefangen. Er riß die Augen weit auf, als er sie ansah. »Das is' meine«, sagte er verwundert.
Julie flog herum, als sie einen Ruf hinter sich hörte und drei Soldaten den Hang heruntergerannt kommen sah. Der erste sah die hingestreckte Figur und die Pistole in Eumenides' Hand und hielt sich nicht mit Reden auf. Er legte an und schoß dem Griechen in den Bauch.
Eumenides ächzte und klappte zusammen, seine Hände gegen den Bauch gedrückt. Er ging in die Knie und fiel vornüber. Der Soldat hob sein Gewehr und stach ihm das Bajonett in den Rücken. Eumenides brach ganz zusammen, und der Soldat trat mit dem Stiefel auf ihn und zog das Bajonett heraus.
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