Sog des Grauens
Nähe?«
Eumenides zeigte. »Kann sein sechzig Meter. Wir reden laut – sie 'ören.«
»Ein Glück, daß wir diese Mulde gefunden haben«, sagte Julie. »Sie müssen lieber in Ihr Loch kriechen, Eumenides. Decken Sie sich mit Bananenblättern zu! Wir werden auf Mr. Rawsthorne warten.«
»Ich habe Angst«, sagte Mrs. Warmington kleinlaut in der Dunkelheit.
»Meinen Sie, ich nicht?« flüsterte Julie. »Halten Sie jetzt den Mund!«
»Sie werden uns umbringen«, jammerte Mrs. Warmington lauter. »Sie werden uns vergewaltigen und dann umbringen.«
»Herrgott, halten Sie doch den Mund!« zischte Julie wütend. »Man wird Sie hören.«
Mrs. Warmington stöhnte leise und schwieg dann. Julie lag auf dem Boden ihres Loches und wartete auf Rawsthorne. Sie wunderte sich, daß er so lange ausblieb, und überlegte, was sie tun könnten, wenn er zurückkäme.
***
Rawsthorne war in Druck. Er hatte den Wirtschaftsweg überquert und fand es jetzt schwierig, wieder zurückzukommen; es herrschte ein ununterbrochener Verkehr in beiden Richtungen. Ein Lastwagen nach dem anderen donnerte mit voll aufgeblendeten Scheinwerfern vorbei, so daß er nicht ungesehen über den Weg kommen konnte. Und er hatte lange gebraucht, um den Weg überhaupt wiederzufinden. In seiner Verwunderung darüber, daß er sich inmitten einer Armee befand, hatte er sich verlaufen, war in der Dunkelheit zwischen Pflanzenreihen umhergeirrt und erschrocken vor einer Gruppe von Soldaten geflohen, nur um auf eine andere zu stoßen.
Als er sich endlich beruhigt hatte, war er weit von dem Weg entfernt. Er lief anderthalb Stunden, bis er ihn wiederfand, ständig von der Angst vor der Entdeckung geplagt. Er machte sich keine Illusionen darüber, was passieren würde, wenn man ihn entdeckte. Serruriers Propaganda war wirksam gewesen; er hatte diese Männer belogen und ihnen die Köpfe verdreht, und dann hatte er sie zu Soldaten ausgebildet und gedrillt. Für sie waren alle Blancs Amerikaner, und Amerikaner waren die Buhmänner in Serruriers Mythologie – sie würden weiß mit amerikanisch gleichsetzen und amerikanisch mit Spion, und so würden sie ihn auf der Stelle erschießen.
Deshalb bewegte er sich vorsichtig, als er seinen Weg zwischen den Bananenstauden suchte. Einmal mußte er eine volle halbe Stunde reglos warten, während sich eine Gruppe von Soldaten hinter der Bananenstaude unterhielt, unter der er sich verbarg. Er drückte sich gegen die breiten Blätter und hoffte, daß keiner auf die Idee kommen würde, um die Staude herumzulaufen.
Als er weitergehen konnte, dachte er darüber nach, was die Männer gesagt hatten. Die Truppe war müde und mutlos; sie beklagten die Unfähigkeit ihrer Offiziere und sprachen mit großem Respekt von der Stärke von Favels Artillerie. Eine immer wiederkehrende Frage war: wo sind unsere Kanonen? Keine einzige hatte zurückschießen können. Aber die Neuigkeit war, daß die Armee unter General Rocambeau neu geordnet wurde und bei Tagesanbruch St. Pierre angreifen würde. Obzwar ein großer Teil ihrer Ausrüstung von Favel erbeutet worden war, hatten Rocambeaus zurückgehende Streitkräfte das Arsenal San Juan ausräumen können, und es war daher genug Munition für den Angriff vorhanden. Die Männer sprachen mit Achtung von Rocambeau und schienen neue Hoffnungen zu schöpfen.
Endlich hatte er den Weg gefunden und wartete im Schatten auf eine Lücke in dem Verkehr, aber es kam keine. Er sah verzweifelt auf seine Uhr – bis zur Dämmerung dauerte es nicht mehr lange, und bis dahin mußte er den Weg überquert haben. Als er die Hoffnung auf ein Nachlassen des Verkehrs aufgegeben hatte, ging er am Wegrand entlang, bis er an eine Kurve kam. Hier mußte es vielleicht möglich sein, den Weg zu überqueren, ohne von Scheinwerfern erfaßt zu werden. Er wartete, bis ein Lastwagen vorbei war, rannte dann hinüber und warf sich auf der anderen Seite hin. Die Scheinwerfer des nächsten Lastwagens, der um die Kurve kam, huschten über ihn hinweg, als er schwer atmend dort lag.
Es wurde schon hell am östlichen Himmel, als er die ungefähre Richtung zu der Mulde ausmachte, in der die anderen versteckt waren. Er schlich müde dahin und dachte, daß so etwas wohl für einen jüngeren Mann wie Wyatt oder Causton angehen konnte, aber einem älteren Herrn wie ihm den Tod bringen konnte.
***
Julie erhob sich aus ihrem Loch, als der Himmel heller wurde. Sie setzte sich zuerst vorsichtig auf, hob die riesigen grünen Blätter und sah
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