Sohn der Dunkelheit

Gastank. Und es war auch schon länger keiner mehr hier gewesen: die dicke Staubschicht auf den Dielen war unberührt, und feine Spinnweben hingen von der Decke.
    » Was ist das? « , fragte Blay.
    Qhuinn schwenkte den Strahl der Lampe herum und runzelte die Stirn. An der hinteren Wand stand eine Reihe von Ölfässern, dicht an dicht, als würden sie sich ängstlich aneinanderdrängen.
    Qhuinn ging darauf zu und inspizierte sie. Wieder erschienen Falten auf seiner Stirn, als er sie aus der Nähe betrachtete. Keines der Fässer hatte einen Deckel, und das Licht fiel auf eine ölige Flüssigkeit.
    » Scheiße … was ist das? «
    Qhuinn beugte sich über das erste Fass und sog die Luft ein. Beißender Lesser -Gestank erfüllte seine Nase. Da der Strahl seiner Lampe von der öligen Suppe absorbiert wurde, konnte das nur eines sein, und damit konnte man bestimmt keinen Ofen oder Generator betreiben.
    Es war das Blut von Omega.
    » Ich bin hinter dir « , sagte Rhage, als er hereinkam.
    Ein leises Pfeifen verriet, dass auch John bei ihm war.
    » Ist es das, wonach es aussieht? « , murmelte Blay, der neben Qhuinn erschien.
    Qhuinn klemmte sich die Taschenlampe zwischen die Zähne und streckte die Hand aus. Als er die widerliche Brühe berührte, bewegte sich etwas in dem Fass …
    » Scheiße! « , schrie Qhuinn und machte einen Satz zurück.
    Während die Taschenlampe zu Boden kullerte, erforschte Blay mit dem Strahl der seinen, was sich da bewegt hatte.
    Ein Arm.
    In dem Fass war etwas.
    » Heilige Scheiße « , hauchte Blay.
    Hinter ihnen bellte Rhage soeben: » V? Wir brauchen Verstärkung hier draußen. Sofort. «
    Qhuinn hob seine Lampe auf und richtete sie auf die ölige Flüssigkeit. Fasziniert sah er zu, wie der Unterarm erneut in Zeitlupe unter der Oberfläche vorbeistrich, sodass die Außenseite des Arms und der Handrücken zum Vorschein kamen …
    Etwas Glitzerndes stach Qhuinn ins Auge. Er leuchtete aus einem anderen Winkel und beugte sich weiter über das Fass.
    Die Hand sah übel zugerichtet aus, die Knöchel waren deformiert, Finger fehlten teilweise oder ganz, als hätte man sie durch einen Fleischwolf gedreht …
    Wieder schimmerte etwas durch den Morast von Omegas Blut.
    Es war … ein Ring?
    » Warte, warte Qhuinn – geh nicht so nah ran … «
    Qhuinn ignorierte den Kommentar und beugte sich noch weiter vor. Und weiter …
    Noch weiter …
    Erst konnte er nicht glauben, was er da sah. Das konnte doch unmöglich ein Siegelring mit Familienwappen sein.
    Aber was sonst? Er steckte am Zeigefinger, dem einzigen Finger, den man nicht abgehackt hatte. Und er war aus Gold … selbst durch das schwarze Öl war der gelbliche Glanz unverkennbar. Das Siegel war breit und zeigte …
    » Qhuinn « , blaffte Rhage. » Halt dich verdammt noch mal fern … «
    Wieder bewegte sich der Arm, und die blasse Hand streifte die Oberfläche der Flüssigkeit, erschien wie ein Geist aus einem Grab, reckte sich in die Luft …
    Omegas Blut floss vom Siegel ab, und Qhuinn erkannte …
    » Qhuinn, ich meine es ernst … «
    Plötzlich war die Hütte von Lärm erfüllt.
    Und Qhuinn wäre nie auf die Idee gekommen, dass der Schrei aus seinem Mund kommen könnte.
    Zuerst dachte Blay, irgendetwas aus dem Fass hätte Qhuinn gepackt und wollte ihn zu sich hinabziehen – und dass der Freund deshalb schrie. Ohne nachzudenken packte er Qhuinn um die Hüften und riss ihn zurück.
    Was aus dem Fass zum Vorschein kam, würde Blay noch jahrelang in seinen Albträumen verfolgen … jahrzehntelang.
    Denn dieses Ungetüm aus dem Fass hatte sich nicht an Qhuinn festgekrallt, es war andersherum. Und als er Qhuinn von diesem Fass wegzerrte, kam ein Vampir zum Vorschein, während das Blut von Omega aus dem Fass schwappte und auf die kalten Dielenbretter klatschte, Blays Springerstiefel und die lederne Hose bespritzte und Qhuinn vollkommen durchnässte.
    Qhuinn mühte sich, um nicht abzurutschen, Pistole und Taschenlampe waren längst vergessen, während er immer wieder umgreifen und nachfassen musste …
    Um jemanden zu befreien, der …
    Das Ölfass kippte um, und der Vampir lag ausgestreckt zu ihren Füßen.
    Niemand rührte sich. Sie waren versteinert wie die Figuren auf einem Tableau.
    Blay erkannte sofort, wer es war.
    Er konnte es nicht glauben.
    Ein Toter war zu den Lebenden zurückgekehrt.
    Qhuinn ging in die Hocke und berührte ihn an der Schulter. Und dann sagte er gebrochen den Namen seines Bruders: » Luchas? «
    Die Reaktion kam