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Sohn der Unendlichkeit

Sohn der Unendlichkeit

Titel: Sohn der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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hatte.
    »Das Wasser wird schnell abkühlen dank des Unterwassersturmes!« sagte Dorian erbarmungslos. »Die Menschen und die Fische werden zurückkehren. Kehre auch du dann zurück! Deine Arme sollen sich zu einem Teil auf das feste Land hinaus bewegen und dort leben. Du wirst es schaffen, auch wenn einige Blätter verdorren. Denn in einigen Jahren werden viele Menschen auf den Inseln leben. Dort erheben sich dann Wälder und Gräser – Abbildungen der Vielfalt im Wasser, dann draußen am Land. Denn unsere Kinder, die Kinder von Oscanee und mir, werden die Inseln betreten können!«
    Er schwieg, wartete und schrie dann:
    »Wiederhole!«
    Die fast wörtliche Wiederholung dieser Ankündigung scheuchte sämtliche Insassen der Korallenstadt in einem beispiellosen Aufruhr durcheinander. Rasend schnell glitten die Fische zwischen den Menschen umher. Ein chaotisches Durcheinander entstand im Wasser. Mächtige Sauerstoffströme wirbelten hinauf an die Oberfläche. Blätter und Ranken bewegten sich. Schmutzströme wurden aufgewirbelt und trübten das Bild, machten das klare Wasser an vielen Stellen undurchsichtig. Plötzlich schien sich auch die Sonne hinter Wolken zu verbergen, denn es wurde dunkel und grau.
    »Nein!«
    Das Mädchen neben Dorian richtete sich auf und zog ein Korallenmesser aus dem Gürtel. Dorian sah kaum hin und riß das Messer aus ihren Fingern. Er warf die Waffe aus einem der runden Bullaugen der Kugel und sagte leise:
    »Wenn Hakine stirbt, wirst du die Große Mutter sein. Denn unsere Kinder sind die Erben der Erde. Sie werden es sein, eines Tages, die auf den Inseln leben. Sie werden zweifache Heimat haben – das feste Land und das Meer.«
    Sie zitterte am ganzen Körper und schrie:
    »Nein! Du bist ein Fremder! Ich kann dich nicht lieben!«
    Er strich ihr langsam und beruhigend über den Kopf.
    »Du wirst es tun. Du weißt schon jetzt, daß wir die Eltern einer neuen Generation sein werden.«
    Sein gesamtes Wesen drückte aus, was er beabsichtigte. Jahrelang hatte man ihn geschult; seine Worte, die Gesten und jede winzige Bewegung der Augen oder Finger wirkten symbolisch. Für lange Sekunden hatte er sich wieder in jene menschliche Maschine verwandelt, die nur einen Zweck und ein Ziel kannte: das Erbe der sterbenden Erde. Er schaute das Mädchen mit kühnen Augen an und sah, wie ihre Unsicherheit langsam dahinschmolz. In ihrem Innern tobte ein lautloser Kampf, denn alles, was hier geschah, überstieg die Normen ihrer Welt.
    Das erste Tabu war gebrochen worden. Der Fremde hatte die PHYLLA bedroht und die Pflanze zu fremden und unverständlichen Handlungen gezwungen. Die soziale Ordnung war als zweites zertrümmert worden – ein Fremder kam und nahm sich eine Frau, ohne daß die Zeremonie der Werbung und des Zurückstoßens, der Angriffe und der Scheinrückzüge vorausgegangen war. Und gleichzeitig, was schlimmer wog, wurde die Autorität der Großen Mutter untergraben und prophezeit, daß die Neugeborenen an Land und im Wasser leben konnten. Und schließlich stand der Ausbruch des Vulkans bevor.
    Dorian sagte:
    »In drei Tagen wird das Feuer ausbrechen. Sage dem Sepia major, er soll die Fische verscheuchen. Dort, wo jetzt die Dreizackklippe steht, wird das Feuer ausbrechen. Dort steht die erste Insel!«
    Das Mädchen flüsterte:
    »Was wirst du jetzt tun, Dorian?«
    »Ich werde dir einige Dinge zeigen, die du noch nicht keimst!«
    Sie senkte den Kopf. Sein Sieg war auch in den kleinen Dingen vollkommen.
    »Ich gehorche!« sagte sie.
    Die Kugel schloß sich. Aus einer Versorgungsleitung im Boden perlte freier Sauerstoff, der durch eine winzige Öffnung abzog. Die Landeblase schoß steil aus dem Kessel, wirbelte das Wasser auf und zog eine Wassersäule hinter sich her, als sie in den wolkigen Himmel schoß. Sie raste mit äußerster Geschwindigkeit auf den Ort zu, an dem der unterirdische Vulkan ausgebrochen war. Was Dorian beabsichtigte, war nichts anderes als eine Beschleunigung auf einem schmalen Sektor. Denn die Sorge der Hydrogenten war, daß sich im Laufe der letzten Jahrtausende und Jahrhunderte immer wieder der Meeresboden gehoben hatte, teils ohne Eruption, teils mit feurigen Erscheinungen einhergehend. Jetzt würde die Orogenese, die Gebirgshebung, die Hydrogenten nicht mehr unvorbereitet treffen.
    Sie erreichten die Stelle, an der noch vor Stunden eine Rauchsäule gestanden und sich gedreht hatte.
    »Was ist das?«
    Das Mädchen hatte sich wieder gefangen und deutete nach unten. Ein

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