Sohn der Verdammnis: Die Chronik der Erzengel. Roman (German Edition)
»Eine bemerkenswerte Karriere: vom Zweithöchsten der Altehrwürdigen Könige des Himmels zu Lucifers Botenjungen. Eine Botschaft von deinem Herrn und Meister.«
Charsoc funkelte Jether mit unverhohlenem Abscheu an. »Eine Botschaft von meinem Meister, welche die bevorstehende Evakuierung der Untertanen des Nazareners betrifft. Sie sind mehr als ein bloßes Ärgernis. Sie behindern unseren Fortschritt in der Welt der Menschen.«
Charsoc zog etwas aus seiner Tragetasche. »Du weißt, dass ich immer ein Freund der Paragraphen gewesen bin. Ich habe hier Jehovahs Garantie: das Rubinensiegel.« Er hielt ein Sendschreiben aus Pergament empor, versehen mit dem Rubinensiegel Jehovahs. »Mein Meister verlangt die umgehende Durchführung dieser Maßnahme.«
Jether nahm langsam das Schreiben aus Charsocs ausgestreckter Hand entgegen.
»Der Entrückung«, zischte Charsoc. »So wird dies doch in der Welt des Menschengeschlechts genannt.«
»Sie steht unmittelbar bevor«, sagte Jether. Seine Stimme war ganz sanft.
»Das reicht nicht. Diese Untertanen des Nazareners belästigen uns mit ihren verfluchten Gebeten. Zudem erhalten sie Hilfe von Engeln. Diese feindlichen Einfälle der himmlischen Heerscharen durch die Tore müssen sofort aufhören.« Charsoc fuhr herum. »Und des Nazareners«, spie er hervor. »Seine Erscheinungen auf diesem erbärmlichen Planeten nehmen überhand.«
»Er kommt in Beantwortung ihres Flehens. Sie sind Seine Untertanen. Er ist ihr König.«
»Genau. Ihr Auszug ist die Voraussetzung für Seine Enthebung. Und für unseren Sieg. Von der Stunde an, als das Ischtar-Abkommen unterzeichnet wurde, wurde uns sieben Jahre Frist bis zur letzten Schlacht gegeben. Zweiundvierzig Monate sind bereits vergangen. Die Zeit drängt.«
»Aber unser Zeitplan wird genau eingehalten, Charsoc«, erwiderte Jether, immer noch mit sanfter Stimme.
»Wir fordern ihren sofortigen Abtransport«, fauchte Charsoc. »Gemäß den Statuten des Ewigen Gesetzes.«
»Ihr habt überhaupt nichts zu fordern. Das Ewige Gesetz unterliegt allein der Gerichtsbarkeit Jehovahs.«
»Ihr solltet euch trotzdem beeilen.«
Charsoc fischte ein Paar zinnoberrote Slipper aus den Tiefen seiner Tragetasche, dann eine türkisfarbene Gesichtsmaske und eine Dose Nasenspray. Jether beobachtete, wie er zum Schluss eine Flasche mit Blutdruckpillen hervorholte.
»Materie!«, knurrte er. »Dieser minderwertige Körper braucht ständige Wartung. Ich bin in den letzten vier Jahrzehnten etwas heikel geworden.«
Jether rollte die Augen. »Du warst immer heikel, Charsoc.« Er warf einen Blick auf das Rubinensiegel. »Du lässt mir keine Wahl. Der Anblick deiner Gegenwart ist mehr, als ich ertragen kann.«
Ein seltsames Lächeln flackerte auf Charsocs Lippen.
»Ich sehe, wir verstehen einander.«
»Verzichten wir also auf das Geplänkel«, sagte Jether frostig. »Wenn der fahle Reiter die Kármán-Linie, die Grenze zwischen der Erdatmosphäre und dem Weltraum in hundert Kilometern Höhe über der Erdoberfläche, passiert, werden Seine Untertanen entrückt werden.«
»Der fahle Reiter.« Charsoc lächelte befriedigt. »Ah … das Vierte Siegel … Nichts als ein harmloser Vorläufer dessen, was das Sechste Siegel bringen wird …«
Er steckte seine Slipper und die Gesichtsmaske wieder in die Tragetasche. »Und siehe, als er das Sechste Siegel öffnete, da entstand ein gewaltiges Beben. Die Sonne wurde schwarz wie ein Trauergewand und der ganze Mond wurde wie Blut.«
Charsoc schraubte den Deckel seiner Blutdruckpillen auf und schob sich zwei in den Mund. Er schluckte und verzog das Gesicht. » Und die Sterne des Himmels fielen herab auf die Erde … Der Himmel verschwand wie eine Buchrolle, die man zusammenrollt, und alle Berge und Inseln wurden von ihrer Stelle weggerückt. Atemberaubend. Angesichts der Tatsache, dass ich in diesem minderwertigen menschlichen Körper gefangen bin, werde ich unmittelbar nach meiner Rückkehr in die Normandie eine Hütte in den höchsten Bergen dieses Planeten kaufen, um mein Überleben zu sichern.«
Er schnappte das Sendschreiben mit dem Rubinensiegel und entriss es Jethers Hand. Dann ging er durch das Zimmer hinaus auf den Gang, vorbei an dem zitternden Obadiah, und stieg in den wartenden Aufzug.
Jether trat in den Türeingang und blickte dem Gestürzten von dort aus nach.
Charsoc bedachte ihn mit einem ironischen Blick. Danach betrachtete er seine Ringe und gähnte gewollt.
»Natürlich wird niemand etwas davon
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