Sohn der Verdammnis: Die Chronik der Erzengel. Roman (German Edition)
Verkehr und entging dabei nur haarscharf einem Eselswagen. Auf dem unmarkierten Mittelstreifen hielt er einen Moment inne, schüttelte den Kopf über die aufgeregt hupenden Fahrer und eilte dann zur anderen Seite der Straße. Dort verschwand er in der Menge.
St. Bernadette’s Hospital –
Hyde Park Corner, London
Lilian schlief. Schläuche steckten in der Nase, im Mund und im Unterarm. Eine Krankenschwester überprüfte kurz die Werte der Patientin und verließ das Zimmer.
Jason blickte auf Lilian hinab, dann entließ er sanft ihre dünne Hand aus seinem Griff. Er sah zu Tante Rosemary hinüber, die in einer Ecke des Krankenzimmers saß und las.
Sie schaute auf. »Wie kommt es, dass du so schnell hier warst?«
»Ich war in Rom. In den Vereinigten Staaten herrscht das Chaos. Man kann nicht mehr durch Manhattan gehen, ohne an jeder Ecke von Militärposten kontrolliert zu werden. Die FEMA läuft Amok. Was kannst du mir über Mutter sagen?«
Rosemary runzelte die Stirn.
»Sie ist heute Morgen gegen zehn vor einem Haus in der Wimpole Street auf der Straße zusammengebrochen. Sie hatte dort irgendeinen Termin. Das ist alles, was ich weiß. Der Notarztwagen war sofort zur Stelle und hat sie hierhergebracht. Sie war im Koma, dann wachte sie kurz auf und redete wirres Zeug. Irgendwann hat sie nach dir gefragt. Als sie sicher war, dass du unterwegs warst, ist sie wieder eingeschlafen.«
Jason sah auf seine Uhr.
»Adrian sollte vor zehn hier sein. Versuch du jetzt, etwas zu schlafen.«
Rosemary lächelte. »Ich werde mich hinlegen, wenn Adrian da ist. Er hat gesagt, er würde dann so lange die Stellung halten, bis ich wieder ausgeruht sei.«
Lilians Augen öffneten sich flatternd.
Jason nahm ihre Hand. »Ich bin’s, Mutter … Jason«, flüsterte er. »Ich bin hier.«
Lilian versuchte, sich in eine sitzende Position aufzurichten. Jason und Rosemary sahen sie entgeistert an.
»Sie haben mir mein Baby weggenommen …« Sie blickte direkt durch Jason hindurch. Ihre Augen waren vor Schrecken geweitet.
Jason und Rosemary tauschten einen Blick.
»Mutter, sei ganz ruhig«, sagte Jason sanft.
Lilian drückte ihm die Hand.
»Jason – du bist doch mein Sohn, oder?«
Er nickte. »Natürlich bin ich dein Sohn.«
Rosemary schüttelte den Kopf. »Das sind die Medikamente«, meinte sie.
»Jason.«
Die Kurve auf dem Herzüberwachungsgerät schlug sichtbar aus. Jason sah beunruhigt zu Rosemary hinüber.
»Der Arzt sagt, du sollst dich nicht aufregen, Mutter. Die Medikamente machen dich wirr. Versuche nicht zu sprechen. Ich bin bei dir.« Erneut blickte er zu Rosemary. »Hol die Stationsschwester, Tante Rosemary.«
Sie eilte aus dem Zimmer, obgleich Lilian den Kopf schüttelte. Angst stand in ihren Augen.
»Bleib ganz ruhig, Mutter«, murmelte er.
»Jason, es gibt Dinge … Dinge, die dein Vater und ich dir nie erzählt haben. Aber ich muss es dir jetzt sagen. Du musst dich schützen … vor ihnen …«
»Mutter, bitte – du weißt nicht, was du redest.«
Lilian sammelte all ihre Kraft und fasste Jasons Hand so fest, dass er zusammenfuhr.
»Sie haben Nicholas ermordet, Jason. Sie werden auch mich töten. Und dann bist du dran …«
Sie versuchte sich aufzurichten.
»Du musst dich vorsehen. In meinem Safe …« Lilian rang nach Luft. »Dein Vater … Eine Akte von ihm kam gestern von seinen Anwälten.«
Jason sah sie völlig entgeistert an.
»Mutter, Dad ist schon lange tot.«
Sie blieb hartnäckig. »Eine schwarze Akte – mit seinem goldenen Wappen. Du musst sie Lawrence geben, Jason … Lawrence St. Cartier. Versprich es mir … Du kannst Lawrence trauen …«
Die Stationsschwester kam ins Zimmer, gefolgt von Rosemary und einem Arzt.
»Mr. De Vere …« Der Arzt bedachte Jason mit einem strengen Blick und begann, die Vorhänge um das Bett zuzuziehen. »Ihre Mutter darf sich unter keinen Umständen aufregen. Sie hatte einen schweren Herzinfarkt.«
Die Krankenschwester nahm die Flasche, aus der eine Lösung in Lilians Arm tröpfelte, und ersetzte sie durch eine neue. Sie drehte den Verschluss weit auf. »Sie müssen jetzt schlafen«, sagte sie zu Lilian.
Der Arzt baute sich vor Jason auf. »Wenn Sie uns jetzt bitte allein lassen würden …«
»Jason!«, rief Lilian in Panik. »Versprich’s mir!«
Jason war den Tränen nahe.
»Ich verspreche es, Mutter. Die schwarze Akte. An Lawrence St. Cartier.«
Lilians Erregung begann abzuebben, als das Beruhigungsmittel seine Wirkung
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