Solang die Welt noch schläft (German Edition)
abgeschürft war. An ihrer linken Hand hatte sie sich alle Knöchel blutig geschlagen, und das Blut hatte sich mit dem Schmutz der Straße vermischt. Vielleicht würde sie an einer Blutvergiftung sterben. Am besten jetzt gleich.
Zu Hause angekommen, donnerte der Polizist mit seiner Faust gegen die Tür. Es dauerte einen Moment, dann wurde im ersten Stock ein Fenster geöffnet und ihre Mutter streckte unwirsch den Kopf heraus.
Josefine war so schlecht vor lauter Angst, dass sie sich beinahe übergeben hätte. Am liebsten wäre sie tot umgefallen. Stattdessen ließ sie sich mit hängendem Kopf und pochender Schulter von dem Polizisten in die Stube führen.
»Meine Tochter hatte was? Einen Unfall mit solch neumodischem Kram? So was gibt’s bei uns im Haus nicht, wir sind redliche Leute. Hufschmied bin ich, da werd ich einen Teufel tun und mir so etwas ins Haus holen!« Konsterniert hatte ihr Vater den Wachtmeister angestarrt, seine Augen quollen dabei fast aus ihren Höhlen. Der Blick, den der Hufschmied ihr, seiner Tochter, anschließend zuwarf, war voller Abscheu und Verachtung gewesen.
»Hier kann nur eine Verwechslung vorliegen. Es ist halb zwei Uhr in der Nacht, unsere Tochter treibt sich nicht herum«, hatte ihre Mutter barsch gesagt. Dann hatte Elsbeth Schmied ihren Morgenmantel über der Brust zusammengezogen und verkniffen ins Leere geschaut. Weder ihr Vater noch ihre Mutter hatten das Wort an sie gerichtet oder ihr gar eine Frage gestellt.
»Nun machen Sie mal kein Theater! Tatsache ist, dass Ihre Tochter auf der Landsberger Allee einen Unfall hatte«, hatte der Polizist ungeduldig erwidert. »Und verletzt ist sie auch, womöglich hat sie sich die Schulter gebrochen. Wollen Sie nicht einen Arzt rufen?« Elsbeth Schmied schaute den Mann aus biestigen Augen an. »Wenn wahr ist, was Sie sagen, können Sie das Luder gleich mitnehmen.«
Im Liegen rieb sich Josefine die lädierte Schulter, die nun, da sie zur Ruhe gekommen war, noch stärker zu schmerzen begann.
Ihre Eltern hatten keinen Arzt rufen wollen. Vielmehr hätten sie ihre Tochter dem Wachtmeister tatsächlich am liebsten sofort übergeben, doch der Mann ordnete an, dass Josefine bis zum Morgen im Haus bleiben und erst um elf Uhr in der Polizeiwache am Görlitzer Bahnhof eintreffen sollte.
Schweren Schrittes und noch schwereren Herzens hatte sich Jo in die Waschküche geschleppt. Als sie sich in der Spiegelscherbe an der Wand betrachtete, erkannte sie sich im ersten Moment gar nicht – der Schmutz und das getrocknete Blut hatten ihr sonst so apartes Gesicht mit den hohen Wangenknochen zu einer hässlichen Fratze werden lassen. Ihre schönen blonden Locken hingen wie eine schmutzige, stumpfe Matte herunter. Hektisch versuchte sich Josefine mit dem kalten Wasser zu reinigen.
In ihrem Zimmer war sie endlich in Tränen ausgebrochen. Alles war aus und vorbei! Sie hatte ihre Eltern angelogen, immer und immer wieder. Sie hatte gestohlen und betrogen. Isabelle würde durch sie in große Schwierigkeiten kommen, vielleicht sogar Clara ebenfalls. Die lebenshungrige Isabelle mit dem aufbrausenden Charakter. Und die schöne, zarte Clara. Ihre besten Freundinnen! All die Jahre waren sie gemeinsam durch dick und dünn gegangen. Und nun hatte sie sie derart hintergangen. Wie sollte sie zudem jemals für den von ihr verursachten Schaden aufkommen? Wahrscheinlich würde sie für den Rest ihres Lebens verschuldet sein. Oder würde ihr Vater ihre Zeche begleichen müssen?
Von tausend Fragen gequält, hatte Josefine auf das Ende der Nacht gewartet.
Ohne Frühstück und stumm hatte sie sich am Morgen, begleitet von ihrer Mutter, auf den Weg zur Polizei gemacht.
Josefine stöhnte leise auf. War das wirklich erst vor wenigen Stunden gewesen? Ihr kam es wie in einem anderen Leben vor.
»Brauchst dich hier gar nicht erst breitzumachen«, hatte einer der Polizisten auf der Wache gesagt, als sie sich mit steifen Gliedern auf die schmale Holzbank setzen wollte. »Mit euch jungen Verbrechern wird kurzer Prozess gemacht!« Dann hatte er sie und ihre Mutter zum zuständigen Amtsgericht in der Parkstraße gebracht, wo die Verhandlung noch am selben Tag stattfinden sollte.
Von da an hatte Josefine – übermüdet, wie sie war – alles nur noch wie durch einen Nebel wahrgenommen. Der Richter war blass und jung gewesen und sehr beschäftigt. Jedenfalls stapelten sich die Akten in riesigen Bergen auf seinem Schreibtisch, er schob einen davon von links nach rechts, um sie
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