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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Zwölfjährigen. Heu brannte wie Zunder, das wusste jedes Kind! Nicht umsonst baute der Vater die Ballen immer ganz außen an der Wand entlang auf, weit entfernt von der Feuerstelle. Noch während der Junge nach etwas suchte, womit er den Feuerherd ersticken konnte, legte sich der brennende Papierfetzen wie Blattgold auf den Heuballen. Gelbglühende Zungen leckten am Heu, und der angenehme Geruch nach geräucherten Kräutern stand in herbem Kontrast zur Angst des Jungen.
    Vaters Beschlagschürze! Das schwere Leder würde dem Feuer den Garaus machen! Der Junge riss die Schürze samt Haken von der Wand. Doch als er mit seiner schweren Last zu dem Heuballen zurückkehrte, brannte dieser schon lichterloh. Kleine schwarze Fetzen sprangen wie glühende Flöhe durch die Luft.
    »Felix! Was ist da drinnen los? Mach sofort auf!«, kreischte es hysterisch vor dem Tor. Josefine. Sie ließ wieder einmal nicht locker.
    »Gleich, ich komme sofort!«, rief der Junge und schlug hastig mit der Schürze auf den Heuballen. Geh aus! Geh aus! Im selben Moment spürte er in seinem Rücken Hitze auflodern. Die anderen Papierfetzen! Durch seine schnellen Bewegungen waren ein oder zwei davon zu nahe an den Stapel mit den Holzspänen geraten, und wenige Wimpernschläge später brannte das ausgedörrte Holz lichterloh. Dunkelgrauer Rauch stieg auf, vernebelte die Sicht des Jungen, verwirrte seine Sinne. Taumelnd versuchte er, sich in der aufsteigenden Hitze zurechtzufinden.
    »Josefine … Hilfe!« Panisch schlug er mit der Lederschürze auf das brennende Holz ein, doch statt das Feuer zu löschen, verteilte er die Glut nur noch mehr. Um ihn herum sprühten nun überall Funken, verbanden sich kleine Brandherde zu größeren, wurde das Knistern des verbrennenden Heus immer lauter. Längst war der Weg zu beiden Türen durch das Feuer versperrt. Angstgelähmt starrte der Junge auf das brennende Inferno, in dem es nur eine einzige schwarze Stelle gab: die mit robusten Steinen ausgekleidete Feuerstelle seines Vaters. Wenn es ihm gelang, sich dorthinein zu retten, konnte er abwarten, bis sich das Feuer wieder beruhigt hatte. Blind vom Rauch tastete sich der Junge in diese Richtung vor. Ein Schritt. Nein, nicht zur Seite! Rasch schlug er auf seinen Ärmel, der fast Feuer gefangen hätte. Noch ein Schritt. Da, gleich hatte er es geschafft. Die unerträgliche Hitze. Nicht daran denken. Gleich, gleich …
    Der Junge spürte, wie seine Knie nachgaben. Einen Meter von den schutzbietenden Steinen entfernt sackte er zu Boden …
    Mit einem Aufschrei fuhr Josefine im Bett hoch, schaute sich konfus um. »Felix?«
    »Was ist, hast du schlecht geträumt?«, murmelte jemand neben ihr.
    Josefine blinzelte verwirrt. Die Rothaarige. Das Frauengefängnis Barnimstraße.
    Schweißnass und zitternd sank sie auf ihr Lager zurück. Von weiter hinten war Schnarchen zu hören und ein leises Jammern, ansonsten war es im Schlafsaal still. Vor den vergitterten Fenstern dämmerte es schwach, ein Käuzchen oder ein anderes Tier stieß einen schrillen Schrei aus. Er erinnerte Jo an Freiheit und bessere Zeiten.
    Schon immer war sie früher als alle anderen wach gewesen. »Solang die Welt noch schläft …« – wie oft hatte sie diesen Satz gesagt! Dann gehörte ihr die Welt allein. Dann war sie frei. Sie hatte sich stets auf jeden neuen Tag gefreut.
    Nun versuchte sie krampfhaft, wieder in den Schlaf zu finden. Doch die Gedanken an ihren kleinen Bruder ließen sich nicht einfach verdrängen.
    In der Anfangszeit nach Felix’ Tod hatte sie regelmäßig von ihm geträumt. Seltsame, verworrene Träume, in denen sie abwechselnd durch ihre oder seine Augen sah, so wie in dem Traum gerade eben. Schuldgefühle und ihr schlechtes Gewissen hatten sie damals bis in den Schlaf verfolgt. Doch irgendwann waren die Träume und Gedanken seltener geworden, viel zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, ihr Leben zu leben, intensiv und in vollen Zügen.
    Ihr Bruder war im Frühjahr 1889 ums Leben gekommen, an einem herrlichen und für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Sonntag. Über zwei Jahre war das nun her. Nach dem Kirchgang hatte ihr Vater, der von allen nur »der Schmied-Schmied« gerufen wurde, ihr eröffnet, dass er und die Mutter einen Besuch bei Vaters Schwester machen wollten. Sie sollte währenddessen zu Hause auf Felix aufpassen. Josefine war wütend gewesen – als sie in Felix’ Alter war, hatte sich doch auch niemand um sie gekümmert, und ein Ausflug quer durch die

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