Solange am Himmel Sterne stehen
gestorben ist. Der Ort bedeutet mir etwas.«
»Wow.« Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. »Und was machst du da? Als Ehrenamtlicher?«
»Kunstunterricht«, sagt er schlicht. »Malen. Bildhauerei. Zeichnen. So etwas. Und ich bringe ihnen Kekse.«
»Dorthin nimmst du also immer die Schachteln mit, die du hier abholst?«
Er nickt. Ich starre ihn weiterhin an. Mir wird bewusst, dass Gavin Keyes mehr Fassetten besitzt, als ich bisher an ihm wahrgenommen habe. Ich frage mich, was ich noch alles nicht mitbekommen habe. »Du machst … Kunst?«, frage ich schließlich.
Er wendet den Blick ab, ohne zu antworten. »Hör zu, ich weiß, diese Sache mit deiner Großmutter ist vermutlich ein bisschen viel zu verkraften. Und vielleicht liege ich damit ja auch völlig falsch. Aber weißt du, manche Leute, die entkommen konnten, bevor sie in ein Konzentrationslager geschickt wurden, wurden mit gefälschten Papieren aus Europa herausgeschmuggelt, die sie als Christen auswiesen«, sagt er. »Könnte es sein, dass deine Großmutter unter einer angenommenen Identität nach Amerika ist?«
Ich schüttele prompt den Kopf. »Nein. Ausgeschlossen. Das hätte sie uns doch gesagt.« Aber es könnte, begreife ich auf einmal, erklären, warum auf der Liste, die sie uns gegeben hat, alle den Nachnamen Picard trugen, während ich immer geglaubt hatte, ihr Mädchenname sei Durand.
Gavin kratzt sich am Kopf. »Annie hat recht, Hope. Du musst herausfinden, was mit deiner Großmutter passiert ist.«
Wir reden eine ganze Stunde lang. Gavin erklärt mir geduldig alles, was ich nicht verstehe. Wenn Mamie tatsächlich aus einer jüdischen Familie in Paris stammt, frage ich ihn, warum kann ich dann nicht einfach bei den Synagogen in Paris anrufen? Oder gibt es nicht Organisationen, die einem dabei helfen, Überlebende der Schoah ausfindig zu machen? Ich bin sicher, von solchen Einrichtungen schon einmal gehört zu haben, auch wenn ich noch nie einen Grund hatte, mich genauer mit ihnen zu befassen.
Gavin erklärt, dass solche Organisationen als erster Schritt einen Versuch wert sein könnten, aber er halte es für unwahrscheinlich, dass ich dort alle Antworten finden werde. Selbst wenn ich die Namen irgendwo auf einer Liste entdecke, werde ich dort allenfalls Geburtsdaten und Geburtsorte bekommen, vielleicht ein Deportationsdatum und, wenn ich Glück habe, den Namen des Lagers, in das sie gebracht wurden.
»Aber das wird dir nicht die ganze Geschichte erzählen«, fügt er hinzu. »Und ich denke, deine Großmutter verdient zu erfahren, was wirklich mit den Menschen passiert ist, die sie geliebt hat.«
» Falls sie überhaupt die ist, für die du sie hältst«, werfe ich ein. »Ich finde, das klingt verrückt.«
Gavin nickt. »Das kann ich dir nicht verdenken. Aber du musst hinfahren und es herausfinden.«
Ich bin nicht überzeugt, und ich wende den Blick ab, während er mir erklärt, dass die Synagogen möglicherweise bessere Unterlagen haben, dass man mich dort vielleicht an andere Überlebende verweist, die sich an die Familie Picard erinnern. Außerdem, sagt er, geben manche Verwahrer solcher Verzeichnisse nur ungern am Telefon Informationen heraus, auch wenn die Schoah siebzig Jahre her sei. Zwar habe es im Laufe der Jahre etliche Bemühungen um eine Öffnung gegeben, aber für viele Menschen, die den Krieg überlebt haben, hieße einen Namen preiszugeben immer noch, ein Leben preiszugeben.
»Außerdem«, sagt Gavin abschließend, »will deine Großmutter offenbar, dass du nach Paris fährst. Dafür muss es einen Grund geben.«
»Aber was, wenn es gar keinen Grund gibt?«, frage ich leise. »Sie ist krank, Gavin. Ihr Gedächtnis ist weg.«
Gavin schüttelt den Kopf. »Mein Opa hatte auch Alzheimer«, sagt er. »Es ist schrecklich, ich weiß. Aber ich kann mich an seine klaren Momente erinnern. Vor allem, was die Vergangenheit betraf. Und was du gesagt hast, klingt, als ob deine Großmutter völlig klar im Kopf war, als sie dir die Namen gegeben hat.«
»Ich weiß«, räume ich schließlich ein. »Ich weiß.«
Bis ich zusperre und wir hinausgehen, schwindet das Tageslicht, und das Blau des Himmels verdunkelt sich allmählich. Ich fröstele und wickele mich fester in meine Jeansjacke.
»Alles okay mit dir?« Gavin bleibt kurz stehen, bevor er sich nach links wendet. Ich kann seinen Jeep sehen, der etwa einen Block weiter in der Main Street steht.
Ich nicke. »Ja. Danke. Für alles.«
»Es ist viel zu verkraften«, sagt er. »
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