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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Frühlingssonne die alte Hauptstraße hinuntergebummelt war, von dem alten Saloon und dem alten Gemischtwarenladen bis zu dem alten Stratford Hotel, wo Billy the Kid als Tellerwäscher gearbeitet hatte. Als Beard zum Parkplatz zurückkam, traf er Darlene. Sie war ihrer Freundin Nicky wegen hergefahren, die sich im Ort als Fremdenführerin beworben und soeben erfahren hatte, sie sei zu schüchtern und zu ungebildet für den Job. Nicky weinte sich an Darlenes Schulter aus, während Beard lüstern auf die beiden zuschlenderte und sich freundlich erkundigte, ob er etwas für sie tun könne. Darlene erzählte von der skandalösen Ablehnung, Nicky kam kaum zu Wort. Sie war dürr, sommersprossig und kurzgeschoren, eine stotternde Kettenraucherin, die noch beim Weinen inhalierte, und Beard dachte nur, er selbst hätte sie auch nicht eingestellt, egal als was. Aber das war nun ihre dritte gescheiterte Bewerbung in ebenso viel Tagen, also fuhren sie gemeinsam zu Darlenes Wohnwagen und trösteten sich den ganzen Nachmittag lang mit Bier und Whisky; Nicky hatte auch noch Kokain und Pot dabei, doch er und Darlene wollten davon nichts hören. Um sich bei Darlene einzuschmeicheln, versprach er, Nicky einen Job auf dem Testgelände zu besorgen (das tat er auch, und Hammer warf sie zwei Tage später wieder raus), und nachdem Nicky gegangen war, um ihre Kinder zu versorgen, verzogen sich Beard und Darlene in die eichenfurnierte Koje nebenan und schliefen miteinander.
    Immer wenn er nach Lordsburg kam, traf er sich mit ihr. Sie hatten eine Stammkneipe in der 4th Street, manchmal feierten sie auch auf seinem Zimmer im Holiday Inn, meistens aber vergnügten sie sich in Darlenes gemütlichem Wohnwagen. Dahinter befand sich ein kleiner Garten mit zwei Zitronenbäumen, die sie hegte und pflegte wie Kinder, Bäume, die gerade groß genug waren, dass sie zwei Leuten, die sich am späten Nachmittag zum Trinken niederließen, ein wenig Schatten spendeten. Nach ein, zwei Gläsern Whisky - sie teilte diese Vorliebe mit Beard - lachte sie viel und sehr laut, nach drei oder vier wollte sie nur noch ins kühle Rumpeln und Rattern des klimatisierten Wohnwagens zurück und Liebe machen. Für Beard war die Affäre eine unverhoffte sexuelle Wiedergeburt, sie erfasste ihn mit Haut und Haar wie jene wollüstigen Qualen in jüngeren Jahren. Ein ganzes Leben war vergangen, seit er das letzte Mal beim Orgasmus so hemmungslos gebrüllt hatte. Nie hätte er geglaubt, dass er solche Gipfel der Lust mit einer Frau von einundfünfzig erklimmen könnte, deren Körper so schlaff und erschöpft und aufgedunsen, so von Krampfadern überzogen war wie sein eigener. Gut möglich, dass dies seine letzte Chance war, solche Ekstasen zu erleben, und entsprechend pfleglich behandelte er sie. So wie er Melissa und Catriona Geschenke von den Flughäfen El Paso oder Dallas mitbrachte, schleppte er umgekehrt alles Mögliche von Heathrow zu Darlene. In einer anderen Stadt, einem anderen Land hätte man sie für nichts als eine aufdringliche Säuferin gehalten. In Lordsburg war sie beliebt und nützlich, durch sie hatte er den Ort schätzen gelernt. Neben ihrem Abendjob als Kellnerin im Lulu Diner arbeitete sie ehrenamtlich in einer Grundschule, putzte die Klassenzimmer und verarztete aufgeschürfte Knie. Zwei Wochen im Jahr half sie als Freiwillige in einem Sommerferienlager für autistische Kinder in den Gila Hills. Nur selten, höchstens zwei- oder dreimal im Jahr, wurde sie nachts von einem Nachbarn oder Streifenpolizisten besinnungslos von der Straße aufgelesen und in ihren Wohnwagen gebracht.
    Über sein Leben in England machte er ihr nicht wirklich etwas vor, aber er erzählte ihr nicht alles. Sie wusste von seinen fünf Ehen, sie hatte schallend über seine Schilderung der heruntergekommenen Wohnung am Dorset Square gelacht, die sie ihm sauber und ordentlich herzurichten versprach, sowie sie Gelegenheit dazu hätte. Seine Partnerin und sein Kind in Primrose Hill ließ er hingegen unerwähnt. Darlene wollte ihn nach England begleiten, und da er weder ihren Wunsch durch ein Nein verstärken noch sein Leben durch ein Ja komplizierter machen wollte, beließ er es bei vagen Versprechungen. Nach achtzehn Monaten nahmen die Dinge den üblichen Lauf. Die Schärfe der Lust und der Reiz des Neuen verflogen, wenn auch langsam und kaum merklich, denn zwischendrin wurde die Glut immer wieder neu entfacht. Gleichzeitig wandten sich Darlenes Gedanken vermehrt der Zukunft zu, ihrer

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