Solaris
Aber er hat das nicht gewußt. Jetzt… jetzt ist das schon eine gewisse… Routine.
Er sagte das so leise, daß ich das letzte Wort eher erriet als hörte.
- Wart einmal, ich verstehe das nicht - sagte ich. - Wieso, ihr müßt doch etwas gehört haben. Du sagst selbst, ihr habt gehorcht. Ihr müßt zwei Stimmen gehört haben, also …
- Nein. Nur seine Stimme, und selbst wenn es dort allerlei unverständliches Gezisch gab, verstehst du wohl, daß wir alles ihm zugeschrieben haben …
- Nur seine Stimme…? Aber… wieso?
- Weiß ich nicht. Ich habe zwar eine bestimmte Theorie zu diesem Thema. Aber ich denke, damit brauche ich mich nicht zu beeilen, um so mehr, als sie zwar das eine oder andere erklärt, aber nichts hilft. Ja. Aber du mußt schon gestern etwas gesehen haben, sonst hättest du uns beide für verrückt gehalten.
- Ich dachte, ich selbst sei verrückt geworden.
- Ja, wirklich? Und du hast niemanden gesehen?
- Doch.
- Wen?!
Seine Grimasse war kein Lächeln mehr. Ich sah ihn lange an, bevor ich antwortete:
- Die … Schwarze …
Er sagte nichts, aber sein ganzer geduckter und vorgebeugter Körper lockerte sich fast unmerklich auf.
- Du hättest mich trotz allem warnen können - begann ich, schon nicht mehr so überzeugt.
- Ich habe dich doch gewarnt.
- Ja, aber wie!
- Auf die einzig mögliche Art. Versteh doch, ich habe nicht gewußt, wer das sein wird. Das hat niemand gewußt, das kann niemand wissen…
- Hör zu, Snaut, ein paar Fragen. Du kennst das… seit einiger Zeit. Diese… dieses… was wird aus ihr?
- Du meinst, ob sie wiederkommt?
- Ja.
- Sie kommt wieder, aber ohne wiederzukommen.
- Was heißt das?
- Sie kommt so wieder, wie am Anfang… des ersten Besuchs. Sie wird einfach von nichts wissen, oder, um genau zu sein, sie wird sich so verhalten, als wäre alles, was du getrieben hast, um sie loszuwerden, niemals dagewesen. Wenn du sie nicht durch die Verhältnisse dazu zwingst, wird sie nicht aggressiv sein.
- Durch was für Verhältnisse?
- Das hängt von den Umständen ab.
- Snaut!
- Was willst du denn?
- Den Luxus von Heimlichkeiten können wir uns nicht leisten!
- Das ist kein Luxus - unterbrach er mich trocken. - Kelvin, ich habe den Eindruck, daß du noch immer nicht verstehst… Oder, wart einmal! …
Ihm blitzten die Augen.
- Kannst du sagen, wer hier war?
Ich schluckte den Speichel hinunter. Senkte den Kopf. Ich wollte Snaut nicht ansehen.
Ich hätte lieber mit einem anderen zu tun gehabt, nicht mit ihm. Aber ich hatte keine Wahl. Ein Mullfleck löste sich und fiel mir auf die Hand. Ich zuckte, als er glitschig auftraf.
- Die Frau, die ich…
Ich sprach den Satz nicht zu Ende.
- Sie ist in den Tod gegangen. Sie machte sich… sie spritzte sich…
Snaut wartete.
- Sie hat Selbstmord begangen…? - fragte er, weil ich schwieg.
- Ja.
- Das ist alles?
Ich schwieg.
- Das kann nicht alles sein…
Ich hob rasch den Kopf. Snaut sah mich gar nicht an.
- Woher kannst du das wissen?
Er antwortete nicht.
- Gut - sagte ich und leckte die Lippen. - Wir haben gestritten. Oder eigentlich nicht. Nur ich habe mit ihr so gesprochen, du weißt schon, wie man im Zorn oft daherredet. Ich habe meinen Kram gepackt und bin ausgezogen, sie hat mir etwas angedeutet, sie hat es nicht ausdrücklich gesagt, aber das ist auch unnötig, wenn du mit jemandem jahrelang zusammenlebst… Ich war sicher, daß sie nur so redete, daß sie sich fürchten würde, so etwas zu tun, und… auch das habe ich ihr gesagt. Am nächsten Tag fiel mir ein, daß ich im Schubfach diese… Spritzen… liegengelassen hatte; sie wußte etwas darüber, ich hatte das aus dem Laboratorium mit heimgenommen, ich brauchte das zu etwas, und ich hatte ihr damals gesagt, wie das wirkt. Ich erschrak und wollte das holen gehen, aber dann dachte ich, das könnte aussehen, als hätte ich ihre Worte ernstgenommen, und… ich ließ es dabei bewenden, aber am dritten Tag bin ich doch hingegangen, das ließ mir keine Ruhe. Schon… als ich hinkam, da war sie schon tot.
- Ach du unschuldiger Knabe…
Ich schnellte hoch. Aber als ich ihn ansah, begriff ich, daß er nicht spottete. Ich sah ihn gleichsam das erste Mal. Er war grau im Gesicht, unbeschreibliche Ermüdung zeigte sich in den tiefen Furchen der
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