Solaris
Wie was?
- Wie unsere Vorstellungen von ihnen, diese Aufzeichnungen im Gedächtnis, wonach…
- Ja. Das stimmt - bestätigte ich. Ich achtete nicht darauf, daß mir die Salbe von den verbrannten Wangen rann und auf die Hände tropfte.
- Hat Gibarian gewußt…? - fragte ich plötzlich. Er betrachtete mich aufmerksam.
- Das, was wir wissen, meinst du?
- Ja.
- Fast sicher.
- Woher weißt du das, hat er es dir gesagt?
- Nein. Aber ich habe da bei ihm so ein Buch gefunden …
- Die »Kleine Apokryphe«?! - rief ich und fuhr vom Sitz hoch.
- Ja. Aber woher kannst denn du das wissen? - fragte Snaut voll plötzlicher Unruhe, die Pupillen in mein Gesicht verbohrend. Ich quittierte das durch ein Kopfschütteln.
- Nur ruhig - sagte ich. - Du siehst ja, daß ich verbrannt bin und kein bißchen regeneriere? In der Kabine war ein Brief an mich.
- Ein Brief? Was du nicht sagst?! Was stand drin?
- Nicht viel. Eigentlich eine Notiz und kein Brief. Bibliographische Verweise auf den Solaris-Annex und auf diese »Apokryphe«. Was ist das?
- Eine alte Sache. Möglich, daß sie etwas damit zu tun hat. Nimm.
Er zog ein dünnes, in Leder gebundenes, an den Ecken abgewetztes Bändchen aus der Tasche und reichte es mir.
- Und Sartorius…? - versetzte ich, das Buch einsteckend.
- Was, Sartorius? In einer solchen Situation verhält sich jeder, wie er es… schafft. Er bemüht sich, normal zu sein, bei ihm heißt das: offiziell.
- Also, weißt du!
- Aber gewiß doch. Ich war mit ihm einmal in einer Situation, die Einzelheiten übergehe ich, jedenfalls blieben uns für acht Leute fünfhundert Kilogramm Sauerstoff übrig. Einer nach dem anderen gaben wir unsere täglichen Beschäftigungen auf, gegen Ende gingen wir alle mit Bärten herum, nur er rasierte sich, putzte sich die Schuhe, das ist so ein Mensch. Natürlich, was immer er jetzt tun wird, das wird Getue sein, eine Komödie oder ein Verbrechen.
- Verbrechen?
- Gut, dann eben kein Verbrechen. Wir müssen uns ein neues Wort dafür ausdenken. Zum Beispiel »Rückstoßscheidungsverfahren«. Klingt das besser?
- Du bist außerordentlich witzig - sagte ich.
- Möchtest du lieber, daß ich weinen soll? Also, schlag was vor.
- Ach, laß mich in Ruh.
- Nein, ich rede im Ernst: du weißt jetzt etwa soviel wie ich. Hast du irgendeinen Plan?
- Du bist drollig! Ich weiß nicht, was ich anfange, wenn sie… wiederum erscheint, sie muß ja erscheinen?
- Wohl schon.
- Auf welchem Weg gelangen sie eigentlich herein, die Station ist doch hermetisch? Vielleicht hat der Panzer…
Er winkte ab.
- Der Panzer ist in Ordnung. Ich habe keine Ahnung, wie. Am häufigsten haben wir Gäste nach dem Aufwachen, und letzten Endes muß der Mensch hin und wieder schlafen.
- Irgendwo einsperren?
- Das hilft nicht für lange. An Mitteln bleiben nur, na, du weißt schon, welche.
Er stand auf. Ich stand auch auf.
- Hör mal, Snaut… Geht es dir um die Auflassung der Station, und du willst nur, daß das von mir ausgehen soll?
Er schüttelte den Kopf.
- So einfach ist das nicht. Natürlich, jederzeit können wir flüchten, und sei es auf das Satelloid, und von dort SOS senden. Sie werden uns selbstredend als Irre behandeln… irgendein Sanatorium auf der Erde, bis zu dem Zeitpunkt, da wir alles brav widerrufen werden … Fälle von kollektivem Wahnsinn kommen an solchen isolierten Stützpunkten ja vor… Das wäre vielleicht nicht das Schlimmste. Ein Garten, Ruhe, weiße Zimmerchen, Spaziergänge mit den Wärtern…
Snaut sprach in vollem Ernst, die Hände in den Taschen, den Blick in die Zimmerecke geheftet, ohne etwas zu sehen. Die rote Sonne war schon hinter dem Horizont verschwunden, und die schaumgekrönten Wellen verschwammen zu tintiger Wüste. Der Himmel loderte. Über dieser zweifarbigen, unbeschreiblich trostlosen Landschaft fluteten Wolken mit lilafarbenem Saum.
- Also, willst du nun flüchten? Oder nicht? Noch nicht?
Snaut lächelte.
- Du unverzagter Eroberer… Du hast das noch nicht verkostet, sonst würdest du nicht so darauf drängen. Nicht das zählt, was ich will, sondern das, was möglich ist.
- Was?
- Das eben weiß ich nicht.
- Wir bleiben also hier? Denkst du, daß sich ein Mittel findet…
Er sah mich an, schmächtig, mit diesem
Weitere Kostenlose Bücher