Solaris
Wangen, er sah aus wie ein schwerkranker Mensch.
- Warum sagst du so etwas? - fragte ich seltsam eingeschüchtert.
- Darum, weil diese Geschichte tragisch ist. Nein, laß - ergänzte er rasch, weil ich mich rührte, - du verstehst noch immer nicht. Selbstverständlich, das kann dich schwer mitnehmen, du kannst dich sogar für einen Mörder halten, aber… das Ärgste ist es nicht.
- Was du nicht sagst! - sagte ich höhnisch.
- Ich freue mich, daß du mir nicht glaubst. Wirklich. Was geschehen ist, das kann furchtbar sein, aber am furchtbarsten ist das, was… nicht geschehen ist. Nie.
- Ich verstehe nicht… - sagte ich schwach. Ich verstand wirklich nichts. Er nickte.
- Ein normaler Mensch - sagte er. - Was ist das, ein normaler Mensch? Einer, der nie etwas Scheußliches getan hat? Ja, aber hat er nie daran gedacht? Oder er hat nicht einmal daran gedacht, es hat sich selbst gedacht, es ist ihm aufgestiegen, vor zehn oder dreißig Jahren, vielleicht hat er das verscheucht und vergessen und keine Angst davor gehabt, weil er ja wußte, daß er das niemals in die Tat umsetzen würde. Ja, aber jetzt stell dir vor, auf einmal, am hellichten Tag, mitten unter den Leuten, trifft er DAS, es ist Fleisch geworden, an ihn gekettet, unvernichtbar, was dann? Was hast du dann vor dir?
Ich schwieg.
- Die Station - sagte er leise. - Dann hast du die Station Solaris.
- Aber… was kann das letzten Endes schon sein? - sagte ich zögernd. - Du bist schließlich kein Verbrecher, und Sartorius auch nicht…
- Aber du, Kelvin, bist schließlich Psychologe! - unterbrach er mich ungeduldig. - Wer hat nicht irgendwann einmal so einen Traum gehabt? Ein aufsteigendes Bild? Denk dir… denk dir einen Fetischisten, und nun verliebt sich der, was weiß ich, in ein Stück dreckiger Unterwäsche, er wagt seine Haut, bis er sich durch Bitten und Drohen diesen innigstgeliebten, garstigen Lumpen erobert, das muß lustig sein, was? Wenn er sich ekelt vor dem Objekt seiner Begierde, und zugleich verrückt danach ist, und bereit, das Leben dafür aufs Spiel zu setzen, vielleicht mit den Gefühlen eines Romeo für seine Julia…
Solche Sachen kommen vor. Das stimmt, aber du verstehst wohl, daß es auch Sachen geben muß… Situationen… solche, daß sie niemand zu verwirklichen gewagt hat, außer in
Gedanken, in einem einzigen Moment der Sinnesverwirrung, Erniedrigung, Raserei, nenne das, wie du willst. Und das Wort wird Fleisch. Das ist alles.
- Das ist… alles - sprach ich sinnlos nach, mit einer Stimme wie Holz. Mir dröhnte der Schädel. - Aber… aber die Station? Was hat die Station damit zu schaffen?
- Du verstellst dich wohl - murmelte er. Er sah mich prüfend an. - Ich rede doch andauernd von der Solaris, nur von der Solaris, von nichts anderem. Ich kann nichts dafür, wenn sich das so kraß von deinen Erwartungen unterscheidet. Im übrigen hast du schon genug erlebt, um mich wenigstens bis zu Ende anzuhören.
Wir brechen in den Kosmos auf, wir sind auf alles vorbereitet, das heißt, auf die Einsamkeit, auf den Kampf, auf Martyrium und Tod. Aus Bescheidenheit sprechen wir es nicht laut aus, aber wir denken uns manchmal, daß wir großartig sind. Indessen, indessen ist das nicht alles, und unsere Bereitschaft erweist sich als Theater. Wir wollen gar nicht den Kosmos erobern, wir wollen nur die Erde bis an seine Grenzen erweitern. Die einen Planeten haben voll Wüste zu sein, wie die Sahara, die anderen eisig wie der Pol oder tropisch wie der brasilianische Urwald. Wir sind humanitär und edel, wir wollen die anderen Rassen nicht unterwerfen, wir wollen ihnen nur unsere Werte übermitteln und, als Gegengabe, ihrer aller Erbe annehmen. Wir halten uns für die Ritter vom heiligen Kontakt. Das ist die zweite Lüge. Menschen suchen wir, niemanden sonst. Wir brauchen keine anderen Welten. Wir brauchen Spiegel. Mit anderen Welten wissen wir nichts anzufangen. Es genügt unsere eine, und schon ersticken wir an ihr. Wir wollen das eigene idealisierte Bild finden; diese Globen, diese Zivilisationen haben vollkommener zu sein als die unsere, in anderen wiederum hoffen wir das Abbild unserer primitiven Vergangenheit zu finden. Indessen ist auf der anderen Seite etwas, was wir nicht akzeptieren, wogegen wir uns wehren, und schließlich haben wir von der Erde nicht nur das pure Destillat aus lauter Tugenden mitgebracht, das heroische Standbild des Menschen! Wir sind so
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