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Solaris

Solaris

Titel: Solaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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einfachste Form und die dauerhafteste, da ja ihr Dasein nach Wochen zu messen ist, hier überhaupt ein Ausnahmefall.
    Eine verschlungenere, launenhaftere und im Betrachter wohl den heftigsten Protest wachrufende Form (instinktiven Protest, versteht sich) sind die »Mimoide«. Ohne Übertreibung läßt sich sagen, daß Giese sie liebgewonnen hat und sich bis zuletzt ihrer Erforschung, ihrer Beschreibung, dem Enträtseln ihres Wesens gewidmet hat. Durch den Namen wollte er das wiedergeben, was an ihnen für den Menschen das sonderbarste ist: eine gewisse Neigung, umliegende Formen nachzuahmen, gleichviel, ob sie nah oder entfernt sind.
    Tief unter der Ozeanoberfläche beginnt sich eines Tages ein weiter flacher Kreis zu verdunkeln, mit ausgefranstem Rand und gleichsam pechübergossener Oberfläche. Nach mehr als zehn Stunden wird er lappig, weist immer deutlichere Gliederungen auf und stößt zugleich nach oben vor, der Ozeanoberfläche entgegen. Der Beobachter würde schwören, daß unter ihm ein heftiger Kampf tobt, denn wie Lippen, die sich zusammenkrampfen, wie lebende, muskulöse, sich schließende Krater laufen hier aus der ganzen Umgebung unendliche Reihen konzentrischer Ringwellen zusammen, stauen sich über dem tief unten ausgegossenen, schwärzlichen, schwankenden Phantom, bäumen sich und stürzen in die Tiefe. Jeden solchen Rutsch mehrerer hunderttausend Tonnen begleitet ein sekundenlang ausgedehntes, pappiges, ich bin versucht zu sagen, schmatzendes… Donnern, denn hier geschieht alles in monströser Größenordnung. Das dunkle Gebilde wird tiefer hin abgedrängt; jeder neue Aufschlag scheint es plattzuhämmern und aufzuspalten; von den einzelnen Lappen, die wie durchnäßte Flügel weghängen, teilen sich längliche Trauben ab, verschmälern sich zu langen Perlenschnüren, verschmelzen miteinander und schwimmen aufwärts, die gleichsam an sie angewachsene verklumpte Mutterscheibe hebend, indes von oben in den immer deutlicher eingebuchteten Kreis nacheinander die Wellenringe fallen. Und dieses Spiel zieht sich bisweilen einen Tag, bisweilen einen Monat lang hin. Manchmal ist damit schon alles zu Ende. Der gewissenhafte Giese nannte diese Spielart »abortives Mimoid«, als hätte er aus unbekannter Quelle das exakte Wissen darum bezogen, daß das endgültig letzte Ziel eines jeden solchen Kataklysmus das »reife Mimoid« sei, das heißt, diese Kolonie polypenhafter, hellhäutiger Auswüchse (gewöhnlich größer als eine irdische Stadt), deren Bestimmung es ist, Formen der Außenwelt nachzuäffen… Selbstverständlich fehlte es nicht an einem anderen Solaristen, Uyvens mit Namen, der diese letzte Phase just zur »degenerativen« erklärte, zu Entartung und Absterben, und den Wald geschaffener Formen - zum offensichtlichen Anzeichen für die Loslösung der Sproßgebilde aus der Gewalt des Mutterstücks.
    Giese hingegen, der in den Beschreibungen anderer solarischer Gebilde immer wie eine wandernde Ameise auf einem gefrorenen Wasserfall agiert und sich durch nichts aus dem Gleichschritt seiner trockenen Diktion bringen läßt, war hier seiner Sache so sicher, daß er aus den einzelnen Auftauch-Phasen des Mimoids eine Folge von wachsender Vollkommenheit zusammenreihte.
    Aus großer Höhe betrachtet, scheint das Mimoid einer Stadt ähnlich zu sehen, aber das ist Einbildung, ein Effekt der Suche nach irgendeiner Analogie aus dem Bereich des Bekannten. Wenn der Himmel klar ist, umgibt alle vielstöckigen Gewächse und ihre GipfelPalisaden eine Schicht erwärmter Luft und bewirkt scheinbares Schwanken und SichBeugen der ohnedies schon schwer eruierbaren Formen. Die erste durchs Blau segelnde Wolke (so sagte ich aus Gewohnheit, dieses »Blau« ist ja rostfarben während des roten und ätzend weiß während des blauen Tages) ruft sofortige Reaktion wach. Jähes Knospen setzt ein, in die Höhe schießt eine fast ganz vom Untergrund abgetrennte, dehnbare, sich höckerig aufblähende Hülle, die gleichzeitig verblaßt und nach einigen Minuten täuschend eine Quellwolke imitiert. Dieses riesige Objekt wirft einen rötlichen Schatten; die einen Mimoidgipfel geben es gleichsam an die nächsten weiter; diese Bewegung vollzieht sich immer gegenläufig zu der Bewegung der wirklichen Wolke. Ich denke, Giese hätte sich gewiß die Hand abhacken lassen, um auch nur dies zu erfahren: warum sich das so abspielt. Aber solche »einsame« Erzeugnisse des Mimoids sind noch gar nichts gegen die unbändige Tätigkeit, die es zeigt,

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