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Solaris

Solaris

Titel: Solaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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wenn es durch die Anwesenheit von Gegenständen und Formen »gereizt« wird, die durch Zutun der irdischen Ankömmlinge über ihm erscheinen.
    Das Abbilden von Formen bezieht tatsächlich alles mit ein, was nicht weiter als acht, neun Meilen entfernt ist. Zumeist produziert das Mimoid ein vergrößertes Abbild, es verzerrt es zuweilen, es schafft Karikaturen oder groteske Vereinfachungen, insbesondere von Maschinen. Werkstoff ist selbstredend immer dieselbe schnell verblassende Masse, die in die Luft emporgeschleudert wird und, statt zu fallen, in Schwebe bleibt, durch Nabelschnüre, die leicht reißen, mit dem Untergrund verbunden, über dem sie sich wie kriechend verschiebt, während sie sich durch Schrumpfungen, Verknotungen, Schwellungen zügig zu den verschlungensten Mustern formt. Ein Flugzeug, ein Gitter, ein Mast werden mit gleicher Schnelligkeit reproduziert; nur auf die Menschen selbst reagiert das Mimoid nicht; genauer gesagt, auf alle Lebewesen, auch auf Pflanzen nicht, - denn die nimmermüden Forscher haben auch diese zu Versuchszwecken auf die Solaris geschafft. Eine Figur dagegen, eine menschliche Puppe, die aus beliebigem Material geformte Statuette eines Hundes oder Baumes werden sofort kopiert.
    Hier ist leider am Rande zu vermerken, daß dieser »Gehorsam« des Mimoids gegenüber den Experimentatoren, der auf der Solaris so einzig dasteht, zuweilen der Suspendierung anheimfällt. Das reifste Mimoid macht seine »faulen Tage« durch; dann tut es nichts, als daß es überaus langsam pulsiert. Für das Auge ist dieses Pulsieren im übrigen nicht
    wahrnehmbar: sein Rhythmus, die einzelne »Pulsphase«, umfaßt mehr als zwei Stunden, und erst mit Hilfe eigener Filmaufnahmen konnte es entdeckt werden.
    Unter solchen Umständen ist ein Mimoid, besonders ein altes, vorzüglich zur Besichtigung geeignet, da sowohl die tragende, in den Ozean eingetauchte Scheibe, als auch die aus ihr emporgetürmten Gebilde dem Fuß nur allzu sicheren Halt bieten.
    Selbstverständlich kann man sich auch während der »fleißigen« Tage eines Mimoids in seinem Bereich aufhalten, aber dann ist die Sicht fast null, weil unaufhörlich das flaumige, wie zerstäubter Schnee weißliche Kolloid herabfällt, das pausenlos aus den gebauchten Verästelungen des formenkopierenden Endgliedes stiebt. Diese Formen sind im übrigen aus der Nähe nicht zu erfassen, denn ihre Riesigkeit gehört in die Größenordnung von Bergen. Überdies wird der Untergrund des »arbeitenden« Mimoids schlammig von dem fleischigen Regen, der erst nach zehn und mehr Stunden zu einer harten Kruste gerinnt, noch um ein Vielfaches leichter als Bimsstein. Endlich: ohne entsprechende Ausrüstung verirrt man sich leicht in dem Labyrinth bauchiger, bald an zusammenzuckende Säulen und bald an halbflüssige Geiser gemahnen der Schößlinge, und dies sogar bei voller Sonne, denn ihre Strahlen dringen nicht durch die Decke der pausenlos in die Atmosphäre geschleuderten »imitierenden Explosionen«.
    Ein Mimoid an seinen glücklichen Tagen zu beobachten (genauer gesagt, an den glücklichen Tagen des Forschers, der sich über ihm befindet), das kann unverwischliche Eindrücke ergeben. Das Mimoid hat so seine »schöpferischen Aufschwünge«, dann beginnt es eine unheimliche Hyperproduktion. Es schafft dann bald eigene Spielarten der Formen aus der Außenwelt, bald Komplikationen oder gar »formale Weiterentwicklungen«
    davon, und so kann es sich stundenlang unterhalten, zur Freude eines abstrakten Malers und zur Verzweiflung des Wissenschaftlers, der sich vergeblich bemüht, irgend etwas von den ablaufenden Prozessen zu verstehen. Manchmal zeigen sich in der Tätigkeit des Mimoids Züge ausgesprochen kindlicher Vereinfachung, manchmal verfällt es in »barockisierende Abweichung«: alles, was es dann schafft, ist geprägt von schwulstiger Elephantiasis. Insbesondere alte Mimoide fabrizieren Gestalten, die herzlich lachen machen können. Ich habe es allerdings nie fertiggebracht, über sie zu lachen, ich war zu bestürzt über die Rätselhaftigkeit des Schauspiels.
    Selbstverständlich hat man die Mimoide in den ersten Forschungsjahren förmlich bestürmt - als angeblich die Hoffnungen erfüllende Zentren des solarischen Ozeans, als die Stellen, wo der ersehnte Kontakt zweier Zivilisationen stattfinden sollte. Nur zu bald stellte sich jedoch heraus, daß von Kontakt nicht die Rede sein kann. Denn alles beginnt und endet zugleich wieder mit Formenimitation, die

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