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Solaris

Solaris

Titel: Solaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Entschluß mit. Ich habe keine Meinung.
    Ich habe, scheint’s, überhaupt nichts mehr. Lieber wäre mir, Du tätest das, nur deshalb, weil wir dann von der Stelle kommen, und sei es scheinbar. Sonst bleibt nichts übrig, als G. zu beneiden.
    Ratz
    P.S. Komm nicht in die Funkstation. Das kannst Du für mich noch tun. Ruf am besten an.«
    Mir zog sich das Herz zusammen, als ich diesen Brief las. Ich sah ihn nochmals aufmerksam durch, zerriß ihn und warf die Schnipsel in den Ausguß. Dann begann ich einen Schutzanzug für Harey zu suchen. Schon das allein war gräßlich. Ganz wie voriges Mal. Aber sie wußte nichts, sonst hätte sie sich nicht so freuen können, als ich ihr sagte, ich müsse einen kleinen Erkundungsflug machen und bitte sie, mich zu begleiten. Wir frühstückten in der kleinen Küche (wieder schluckte Harey kaum ein paar Bissen hinunter), dann gingen wir in die Bibliothek.
    Ich wollte Literatur zu den Problemen des Neutrinofeldes und der Neutrinostrukturen durchsehen, bevor ich tun würde, was Sartorius sich wünschte. Ich wußte noch nicht, wie ich es anpacken sollte, aber ich hatte beschlossen, seine Arbeit zu kontrollieren. Mir fiel ein, dieser noch nicht existierende Neutrino-Annihilator, oder was das war, könnte ja Sartorius und Snaut befreien, und ich würde mit Harey während der »Operation« irgendwo außerhalb warten, im Flugzeug zum Beispiel. Ich murkste einige Zeit bei dem großen elektronischen Katalog herum: wenn ich eine Frage stellte, antwortete er entweder durch Auswerfen eines Kärtchens mit der lakonischen Aufschrift »Nicht in der Bibliografie«,oder er riet mir, in ein solches Dickicht physikalischer Spezialarbeiten einzudringen, daß ich nichts damit anzufangen wußte. Ich wollte nicht recht fort aus diesem großen runden Raum mit den glatten Wänden aus lauter kleinen Karos von Schubladen mit zahllosen Mikrofilmen und elektronischen Aufzeichnungen. Die Bibliothek lag genau im Zentrum der Station und hatte keine Fenster, sie war der best-isolierte Platz innerhalb des Stahlpanzers. Wer weiß, vielleicht fühlte ich mich gerade deshalb hier wohl, trotz des
    klaren Mißerfolgs beim Suchen. Ich durchstreifte den großen Saal; vor einem riesigen, bis an die Decke reichenden Regal mit Büchern blieb ich schließlich stehen. Das war nicht so sehr ein Luxus, als solcher im übrigen mehr als fragwürdig, sondern eher ein Ausdruck der Pietät und der Achtung den Pionieren der Solarisforschung gegenüber: diese Fächer trugen rund sechshundert Bände, die ganze Klassik des Sachgebiets, angefangen bei der monumentalen, wenn auch schon weitgehend veralteten zehnbändigen Monographie von Giese. Ich nahm diese Bände heraus, unter deren Gewicht sofort die Hand sank, und blätterte lässig in ihnen herum, halb auf der Lehne des Armstuhls sitzend. Harey fand sich auch ein Buch; über ihre Schulter hinweg entzifferte ich ein paar Druckzeilen: Das war eines der wenigen Bücher aus den Beständen der ersten Expedition, mir scheint, einst hatte gar Giese selbst es besessen: »Der interplanetare Koch« … Ich sagte nichts, als ich sah, wie aufmerksam Harey diese den harten Lebensbedingungen der Kosmonautik angepaßten Kochrezepte studierte, und wandte mich wieder dem ehrwürdigen Folianten zu, den ich auf den Knien hielt. »Zehn Jahre Solaris-Forschung« ist in der Reihe »Solariana« als Band vier bis dreizehn erschienen, während die jetzigen vierstellige Nummern haben.
    Giese hatte nicht allzuviel Schwung, aber einem Solarisforscher kann diese Eigenschaft nur schaden. Wohl nirgends sonst können Phantasie und die Fertigkeit raschen Hypothesenbildens so viel verderben. Schließlich ist auf diesem Planeten alles möglich. Unglaubwürdig klingende Beschreibungen von Konstellationen, die das Plasma herausbildet, sind aller Wahrscheinlichkeit nach authentisch, wenn auch im allgemeinen unüberprüfbar, da der Ozean kaum jemals seine Evolutionen wiederholt. Wer sie zum ersten Mal beobachtet, den erschüttern sie hauptsächlich durch ihre Fremdheit und Riesengröße; würden sie in kleinem Maßstab auftreten, in irgendeinem Tümpel, so hätte man sie gewiß als eine weitere »Laune der Natur« aufgefaßt, als Äußerung der Zufälligkeit und des blinden Spiels der Kräfte. Daß Mittelmaß und Genie gleichermaßen hilflos der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit solarischer Formen gegenüberstehen, erleichtert auch nicht gerade den Umgang mit den Phänomenen des lebenden Ozeans. Giese war weder eines noch

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