Solaris
eigentlichen Solaris-Expedition weitere drei Jahre hinaus, bis zu dem Zeitpunkt, da Shannahan die Besatzung komplett hatte und vom Institut drei Einheiten der Tonnage C, Kosmodromklasse, erlangte. Anderthalb Jahre vor Eintreffen der Expedition, die vom Gebiet des Alpha des Wassermanns aus startete, brachte von seiten des Instituts eine zweite Explorationsflotte ein automatisches Satelloid, Luna 247, in eine Solaris-Umlaufbahn. Nach drei jahrzehntelang auseinanderliegenden Rekonstruktionen arbeitet dieses Satelloid heute noch. Die Daten, die es sammelte, bestätigten endgültig, was Ottenskjolds Expedition wahrgenommen hatte: den aktiven Charakter der Ozeanbewegungen.
Ein Schiff Shannahans verblieb auf einer hohen Umlaufbahn, zwei dagegen landeten nach einleitenden Vorbereitungen auf einem felsigen Stück Land, das beim Südpol der Solaris etwa sechshundert Quadratmeilen einnimmt. Die Arbeiten der Expedition waren nach achtzehn Monaten beendet und verliefen günstig, bis auf einen Unglücksfall, der durch Fehlfunktion der Apparate verursacht wurde. Innerhalb des Wissenschaftlerteams kam es jedoch zur Aufspaltung in zwei gegnerische Lager. Zum Gegenstand des Streits wurde der Ozean. Auf Grund der Analysen wurde er als organisches Gebilde erkannt (ihn lebendig zu nennen, wagte damals noch niemand). Während jedoch die Biologen in ihm ein primitives Gebilde sahen - eine Art gigantischen Verband, also gleichsam eine einzige monströs auseinandergewachsene flüssige Zelle (aber sie nannten ihn »präbiologische Formation«), die den ganzen Globus mit einem gallertigen, stellenweise eine Tiefe von mehreren Meilen erreichenden Mantel überzogen hat - behaupteten Astronomen und Physiker, das müsse eine außerordentlich hoch organisierte Struktur sein, die möglicherweise an Verschlungenheit des Aufbaus die irdischen Organismen übertreffe, da sie doch imstande sei, aktiv die Ausformung der Planetenbahn zu beeinflussen. Es wurde nämlich keinerlei andere Ursache entdeckt, die das Verhalten der Solaris erklärt hätte; überdies fanden die Planetarphysiker eine Beziehung zwischen bestimmten Prozessen des Plasma-Ozeans und dem örtlich gemessenen Gravitationspotential, das sich in Abhängigkeit vom Ozean-eigenen » Stoffwechsel« änderte.
So brachten also Physiker und nicht Biologen die paradoxe Formulierung »plasmatische Maschine« vor; darunter verstanden sie ein Gebilde, in unserem Sinne vielleicht auch unbelebt, doch fähig, zielbezogene Tätigkeiten zu unternehmen - fügen wir gleich hinzu: in astronomischer Größenordnung.
In diesem Streit, der innerhalb von Wochen die bedeutendsten Autoritäten sämtlich in seinen Wirbel hineinzog, geriet zum ersten Mal seit achtzig Jahren die Gamov-Shapleysche Doktrin ins Wanken.
Eine Zeitlang suchte man sie noch zu verteidigen, indem man behauptete, der Ozean habe nichts mit Leben zu tun, er sei nicht einmal ein »para«- oder »prä«-biologisches Gebilde, sondern eine geologische Formation, gewiß ungewöhnlich, aber nur zur Fixierung der Solarisbahn durch Schwerkraftänderungen fähig, wobei man sich auf die Le-Chateliersche Regel berief.
Solchem Konservatismus zum Trotz erwuchsen Hypothesen, wie etwa eine der besser ausgearbeiteten, von Civito und Vitta, der Ozean sei das Ergebnis dialektischer Entwicklung: aus seiner Vorform, dem Ur-Ozean, einer Lösung träge reagierender chemischer Körper, vermochte er unter dem Druck der Verhältnisse (das heißt, der Bahnänderungen, die seine Existenz bedrohten) ohne alle Zwischenstufen irdischer Entwicklung, also ohne das Entstehen von Ein- und Vielzellern, ohne pflanzliche und tierische Evolution, ohne das Auftreten von Nervensystem und Gehirn, gleich in das Stadium des »homöostatischen Ozeans« umzuspringen. Das heißt mit anderen Worten, daß er sich nicht wie die irdischen Organismen hunderte Jahrmillionen lang an die Umwelt anpaßte, um erst nach einer so enormen Zeitspanne eine intelligente Rasse zu erzeugen, sondern sofort seine Umwelt bewältigte.
Das war durchaus originell, bloß wußte weiterhin niemand, wie eine sirupartige Gallerte die Bahn eines Himmelskörpers stabilisieren kann. Seit fast hundert Jahren kannte man Anlagen zur Herstellung künstlicher Kraft- und Schwerefelder, die Gravitoren, aber niemand konnte sich auch nur vorstellen, wie ein Resultat, das - in den Gravitoren - das Ergebnis komplizierter Kernreaktionen und enormer Temperaturen ist, von einem gestaltlosen Brei zustandegebracht werden kann. In den
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