Soldaten
Haltung scheint nicht auf einen größeren Sinn oder Zweck gebaut, sondern eher auf die Verbesserung der Ergebnisse im Rahmen seiner Möglichkeiten. Dieses sinnenthobene Töten ist vermutlich, woran es erinnert: eine Jagd, eine sportliche Handlung, die ihren Sinn daraus bezieht, besser zu sein, noch mehr zu erwischen. Deshalb macht es Pohl auch so wütend, dass er abgeschossen wird, mitten in der Jagd. Das versaut ihm das Ergebnis.
Abenteuergeschichten
Die Begriffe »Tod« und »töten« kommen in den Gesprächen der Soldaten kaum vor. Das mag zunächst verwundern, hält man doch das Töten für die zentrale Arbeit des Soldaten im Krieg und die Produktion von Toten für eines seiner Resultate. Aber gerade weil das so ist, bilden Tod und Töten keine Gesprächsthemen. So wenig sich Bauarbeiter in der Pause über Steine und Mörtel unterhalten, so wenig sprechen Soldaten vom Töten.
Das Töten im Kampf ist den Gesprächspartnern zum einen so geläufig, dass es keinen Erzählanlass liefert. Außerdem ist das Kämpfen, wenn es nicht gerade um zurechenbare Einzelaktionen wie bei Jagdfliegern geht, [168] ein heteronomes Geschehen – es hängt nicht so viel vom Zutun des einzelnen Soldaten ab, entscheidend sind die Stärke der Gruppe, die Ausrüstung, die Situation, der Gegner etc. Der einzelne Soldat hat wenig Einfluss darauf, ob und wen er tötet oder ob er selber stirbt. Geschichten darüber zu erzählen ist von geringem Unterhaltungswert und würde vor allem voraussetzen, dass die Männer über Gefühle wie Angst oder Verzweiflung sprechen müssten, auch darüber, wie sie sich in die Hose machen, sich übergeben und ähnliche Dinge tun, die kommunikativ – zumal in dieser Männergemeinschaft – tabu sind. Zudem erfüllen Berichte über das, was alle kennen und erlebt haben (oder vorgeben, zu kennen und erlebt zu haben) nicht die Kriterien dafür, was eine gute, also erzählenswerte Geschichte ist. Auch im zivilen Alltag erzählt man nicht von den Routineverrichtungen des Arbeitstages oder vom Frühstücksei, das man morgens gegessen hat. Ein zentrales Kriterium für eine »gute Geschichte«, eine, die erzählens- und zuhörenswert ist, ist die Ungewöhnlichkeit des Berichteten, das Herausgehobene, sei es besonders ärgerlich oder erfreulich, witzig, grausam oder heroisch. [169] Über die Normalität und Alltäglichkeit des Lebens wird sehr selten erzählt, warum auch? Was zur Normalität der soldatischen Lebenswelt im Krieg gehört – dass dort gestorben, getötet und verletzt wird –, gehört zu den selbstverständlichen Hintergrundvoraussetzungen, über die nicht weiter gesprochen wird.
Aber das Gewöhnliche ist nur der eine Teil des Nicht-Erzählten. Den anderen bilden die Gefühle der Soldaten, insbesondere dann, wenn es um Angst und Bedrohung geht, um Unsicherheit, Verzweiflung oder einfach nur um Sorge um das eigene Leben. Solche Dinge kommen in den Abhörprotokollen kaum vor, und wir wissen aus der einschlägigen Literatur, dass solche Themen bei Soldaten kommunikativ abgeblendet bleiben. [170] Sie sprechen nicht gern vom Tod. Sie sind zu nah an ihm dran. Und wie man über die allfällige Möglichkeit, selbst getötet oder verletzt zu werden, nur äußerst selten redet, so kommt auch das Sterben als Vorgang in den Gesprächen nicht vor: Hier werden Menschen »umgelegt«, »abgeschossen«, »abgemacht«, sie »saufen ab« oder sind »alle weg«. Klar: Würde man sich den eigenen Tod vorstellen, würde man zugleich auch imaginieren, wie man zu Tode käme – und das Sterben, das einige der Soldaten schon oft, andere wenigstens manchmal direkt vor Augen hatten, rückte einem ziemlich nahe. So kreisen die Gespräche um den Tod und das Töten nur scheinbar paradox um alle Arten von Gewalt, ohne je vom Tod und vom Töten ausdrücklich zu sprechen. Die Soldaten drücken die Ergebnisse ihres Tuns in Zahlen von Toten und Tonnagen von versenkten Schiffen aus, aber was und wer das ist, die sie vom Leben in den Tod befördern, das kommt so wenig vor wie das Sterben.
Tatsächlich kommen Schilderungen wie die von Leutnant Pohl häufiger im Material vor, meist nicht so ausführlich, aber mit derselben Offenheit und Selbstverständlichkeit. Die Soldaten haben offenbar nicht die Erwartung, auf Irritationen, Missfallen oder gar Protest zu stoßen, wenn sie ihre Geschichten vom Abschießen erzählen. Nun muss man berücksichtigen, dass die, die sich hier in den Abhörlagern unterhalten, aus demselben Erfahrungsraum
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