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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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Es gibt ja zwei Sorten von Flügen. Es gibt da erstmal diese Zerstörflüge, da werden wehrwirtschaftliche Betriebe usw. angegriffen.
    BIEBER : Immer mit einer Mühle aber nur?
    KÜSTER : Ja. Und dann gibt es noch die Störflüge, da ist es scheißegal, ob du ein Fischerdorf zusammenschmeißt oder eine kleine Stadt oder irgendwas Ähnliches. Da kriegst du irgendwie ein Ziel zugewiesen: ›Die und die Stadt angegriffen.‹ Und wenn du sie nicht erwischst, schmeißt du irgendwo anders rein.
    BIEBER : Und hast du das Gefühl, dass diese Zerstörflüge und Störflüge Wesentliches ausmachen?
    KÜSTER : Die Zerstörflüge ja. Wir haben ja einen nach Norwich gemacht, das hat Spaß gemacht.
    BIEBER : Also direkt eine Stadt kaputt gehauen?
    KÜSTER : Ja. Da sollten wir an und für sich ein gewisses Werk angreifen, aber ...
    BIEBER : Es war genau bezeichnet, was für Werke – ?
    KÜSTER : Ja, ja, das wird genau bezeichnet.
    BIEBER : Was liegt denn in Norwich?
    KÜSTER : Norwich ist eine Flugzeugteilefabrik.
    BIEBER : Ach, die solltet ihr angreifen?
    KÜSTER : Ja, ja. Und sind wir auch rübergeflogen und es fing auf einmal an zu regnen. Kannst du knapp 200 Meter weit sehen. Auf einmal waren wir über Norwich, Hauptbahnhof, da war es schon zu spät. Wir hätten etwas früher nach links ausfliegen müssen. So hätten wir eine ziemliche Steilkurve reißen müssen, fast eine 80-Grad-Kurve bis 95 Grad. Das hätte keinen Zweck, dann wissen die schon Bescheid. So sind wir geradeaus geflogen, und das Erste, was wir schon gesehen haben, das war so eine komische Fabrikhalle; habe ich die Bomben ausgelöst. Die erste Bombe sauste in die Halle rein, und die anderen in die Fabrik rein. Morgens um 8 Uhr oder halb neun war es.
    BIEBER : Warum habt ihr den Bahnhof nicht beworfen?
    KÜSTER : Wir haben den Bahnhof zu spät gesehen. Wir kamen von Osten, und der Bahnhof liegt direkt am Anfang der Stadt. [...] Dann haben wir hineingeschossen in die Stadt, du, auf alles was herumrannte, auf Kühe und Pferde, scheiße, auf Straßenbahn haben wir geschossen, alles, das macht Spaß. Keine Flak, nichts da.
    BIEBER : Wie ist das – wird euch so ein Ziel am Tag vorher mitgeteilt?
    KÜSTER : An und für sich wird es gar nicht vorher mitgeteilt. Da hat jeder solche Sachen ausgearbeitet, so Störziele oder irgend so was, jeder nach Interesse irgendetwas auszuarbeiten, was dem sympathisch ist. Das überlässt man der Besatzung. Und wenn es heißt, in dem und dem Gebiet ist das Wetter günstig, dann wird jede Besatzung gefragt: ›Haben Sie irgendein besonderes Ziel?‹ [172]
    Man beachte: Unteroffizier Bieber, der Zuhörer, ist ein für den britischen Nachrichtendienst arbeitender deutscher Spitzel, der sich hier ausschließlich aus der Perspektive des Spezialisten für die Details der Angriffe interessiert, die der Obergefreite Küster, ein Bomberbordschütze, ihm im Januar 1943 schildert. Vieles, was aus der Sicht von Zivilisten nachfragewürdig wäre, wird hier gar nicht verhandelt. Warum wird der Bahnhof
nicht
angegriffen?
Wann
wird das Ziel mitgeteilt – das sind die Fragen, die die Dialoge der Flieger vorantreiben. Auf diese Weise ergeben sich für die Gesprächspartner kurzweilige Insiderstorys, die sich meist um drei Aspekte drehen: eine Aktion, ihre Durchführung und den Spaß, den man dabei gehabt hat. Warum die Angriffe geflogen wurden, wie sie rechtlich oder moralisch zu begründen wären – so etwas spielt in den Gesprächen keine Rolle. Auch der sich drastisch wandelnde strategisch-operative Rahmen des Luftkrieges wird von den Piloten nicht diskutiert. Es gibt aus der Sicht der Luftwaffensoldaten offenbar keinen Unterschied zwischen einem Angriff auf ein im engeren Sinne militärisches Ziel, einem Terrorangriff auf die Zivilbevölkerung oder einem Bombenangriff auf Partisanen.
    WINKLER : Wir hatten da unten mit Partisanen zu tun, also das ahnst du nicht. ... die Torpedoflieger plötzlich auf Bomben umgeschult, mit der [Ju] ›88‹ im Sturz. Wunderbar. Ist aber nicht als Feindflug gewertet worden.
    WUNSCH : Auch nicht als Frontflug?
    WINKLER : Nein, das war doch bloß ein Jux. Zehn-Kilo-Splitterbomben, immer hinein, was hinein geht. Der Einsatz 15 Minuten, und den ganzen Tag – von früh bis abends – laufend gestartet, Sturz – sssst – raus mit dem Salat; zurück, geladen, gestartet, Sturz, raus mit Salat. Das hat Spaß gemacht. –
    WUNSCH : Keine Abwehr?
    WINKLER : Sag das nicht, die Burschen haben Flak-Geschütze.

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