Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
Vom Netzwerk:
erwünscht ist.
    Es könnte sein, dass die Hypothese der sukzessiven Gewöhnung an Gewalt mehr mit den Darstellungsstrategien der schreibenden Zeitzeugen und den Alltagsvorstellungen der wissenschaftlichen Autoren zu tun hat, als dass er der Wirklichkeit des Krieges entspricht. In unserem Material findet sich nämlich eine Fülle von Beispielen, die nahelegen, dass die Soldaten von vornherein extrem gewalttätig sind – auch das einleitende Zitat stammt ja aus einer Zeit, als der Krieg noch jung war. Zu diesem Zeitpunkt war er weder total noch ein Vernichtungskrieg, und der Oberleutnant kannte ihn nur von oben, aus der Luft. Den Topos von der Brutalisierung verwenden die Soldaten nicht selten selbst, wenn sie von Gewaltereignissen erzählen, allerdings beschränkt sich der Zeitraum der Sozialisierung zur extremen Gewalt in diesen Erzählungen oft auf wenige Tage.
    Nehmen wir das folgende Beispiel vom 30. April 1940 aus einem Gespräch zwischen Leutnant Meyer [1] , einem Piloten der Luftwaffe, und Pohl*, einem Aufklärer im gleichen Rang.
    POHL : Am zweiten Tage des Polenkrieges musste ich auf einen Bahnhof von Posen Bomben werfen. Acht von den 16 Bomben fielen in die Stadt, mitten in die Häuser hinein. Da hatte ich keine Freude daran. Am dritten Tage war es mir gleichgültig und am vierten Tage hatte ich meine Lust daran. Es war unser Vorfrühstücksvergnügen, einzelne Soldaten mit Maschinengewehren durch die Felder zu jagen und sie dort mit ein paar Kugeln im Kreuz liegen zu lassen.
    MEYER : Aber immer gegen Soldaten ...?
    POHL : Auch Leute. Wir haben in den Straßen die Kolonnen angegriffen. Ich saß in der Kette. Die Führermaschine warf auf die Straße, die beiden Kettenhunde auf die Gräben, weil da immer solche Gräben gezogen sind. Die Maschine wackelt, hintereinander, und jetzt ging es in der Linkskurve los, mit allen MG s und was du da machen konntest. Da haben wir Pferde herumfliegen sehen.
    MEYER : Pfui Teufel, das mit den Pferden ... nee!
    POHL : Die Pferde taten mir leid, die Menschen gar nicht. Aber die Pferde taten mir leid bis zum letzten Tag. [156]
    Leutnant Pohl erzählt von den ersten Tagen des Polenfeldzugs und davon, dass seine Gewöhnungsphase an die Gewalt, die er nun auszuüben begann, gerade mal drei Tage dauerte. Schon am vierten Tag überwog die Lust, was er auch gleich mit seinem Bericht vom »Vorfrühstücksvergnügen« zu illustrieren beginnt. Sein Gesprächspartner, offenbar etwas konsterniert, hofft, dass Pohl wenigstens nur gegen feindliche Soldaten vorgegangen sei, aber diese Hoffnung erfüllt sich nicht. Auch »Leute« – also Zivilisten – habe Pohl erschossen, und das Einzige, woran er sich nicht recht habe gewöhnen können, sei gewesen, wenn Pferde getroffen wurden. Das kann Meyer nachvollziehen. Pohl erzählt dann weiter, nun nicht von der Jagd auf einzelne Menschen, sondern von der Bombardierung einer Stadt:
    POHL : Da habe ich mich so geärgert, wo wir abgeschossen wurden – bevor der zweite Motor auch noch heiß wurde, da hatte ich auf einmal unter mir eine polnische Stadt. Da habe ich noch die Bomben drüber geworfen. Da wollte ich alle 32 Bomben auf die Stadt abwerfen. Sie gingen nicht mehr, doch vier Bomben fielen in die Stadt. Das war alles zerschossen da unten. Damals war ich in so einer Wut, man stelle sich vor, was das heißt, 32 Bomben auf eine offene Stadt zu werfen. Es wäre mir damals gar nicht darauf angekommen. Da hätte ich bestimmt von 32 Bomben 100 Menschenleben auf dem Gewissen gehabt.
    MEYER : War ein lustiger Verkehr dort unten?
    POHL : Voll. Auf einen Ring wollte ich Notwürfe machen, weil dort alles voll war. Es wäre mir gar nicht drauf angekommen. In 20 Meter Abstand wollte ich werfen. 600 Meter wollte ich bedecken. Es wäre eine Freude gewesen, wenn es geglückt wäre. [157]
    Offenbar ging es Pohl darum, vor seinem Absturz noch möglichst großen Schaden anzurichten, wobei er durchgängig betont, dass es ihm darauf ankam, möglichst viele Menschen zu töten. Den Ring fliegt er an, »weil dort alles voll war«. Es ärgert ihn deutlich, dass er nicht den gewünschten Erfolg hatte. Die nächste Zwischenfrage von Meyer ist sachlich:
    »So sieht der Kampfflieger durch die Bugkanzel eine polnische Stadt«, Propagandaaufnahme aus einer He111, September 1939 (Foto: Roman Stempka; BA 183-S52911)
    MEYER : Wie reagieren die Menschen darauf, wenn sie so vom Flugzeug beschossen werden?
    POHL : Sie werden verrückt. Die meisten lagen immer mit

Weitere Kostenlose Bücher