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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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heraus, im selben Referenzrahmen kommunizieren: Sie alle gehören zur deutschen Armee, sie alle führen denselben Krieg aus demselben Grund – da braucht man sich nicht gegenseitig das zu erklären, was die Leser der Protokolle siebzig Jahre später rätselhaft finden. Tatsächlich haben die Gespräche denselben Charakter wie Unterhaltungen auf Partys oder bei zufälligen Zusammentreffen von Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben: Man versucht, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen, fragt nach, steuert selbst etwas bei, übertreibt und demonstriert damit, dass man zur selben Gruppe, zur selben Erfahrungsgemeinschaft zählt. Hier, in den Gesprächen zwischen den Soldaten, sind lediglich die Inhalte anders, die Gesprächsstruktur selbst nicht. Die Geschichten der Luftwaffensoldaten sind hauptsächlich Geschichten von der Jagd – was nicht weiter verwunderlich ist. Denn viele sind tatsächlich Jagdflieger oder Bomberpiloten und haben die Aufgabe, gezielt Zerstörungen anzurichten: gegnerische Flugzeuge abzuschießen, Ziele am Boden zu zerstören, und ab 1942 dann auch ganz gezielt Terror zu verbreiten. Es sind Abenteuergeschichten, die die Männer erzählen, bei denen es vor allem auf die Darstellung der eigenen Flugkünste und Zerstörungserfolge ankommt. Typische Beschreibungen sehen etwa so aus:
    FISCHER : Ich habe einen Boston letzthin abgeschossen, da habe ich erst den Heckschützen erledigt, er hatte auch drei MG s oben drin, Mensch, sie ist doch prima, wie die schießt, siehst du den Feuerstrahl aus seinen MG s herauskommen.
    Ich hatte 190, die hatten noch zwei MG s drin gehabt. Ganz kurz auf den MG -Knopf gedrückt.
    Legte er sich um – fertig, aus, kein Schuss kam mehr heraus, die Spritzen standen in die Luft. Da habe ich ganz kurz den rechten Motor angekrattert, er fing an zu brennen, und dann bin ich mit meinen Kanonen hinübergegangen zum linken Motor. Dann ist sehr wahrscheinlich der Flugzeugführer dabei mitgetroffen – ich habe nämlich dauernd auf den Knopf draufgedrückt –, und dann steht sie so runter, brannte. Da waren 25 Spitfire hinter mir her, die mich verfolgt haben. Bin ich fort bis nach Arras reingeflogen.
    KOCHON : Wo bist du gelandet?
    FISCHER : Wieder auf meinem Platz. Die mussten ja nachher wieder umdrehen, die konnten ja nicht so weit auffliegen wegen dem Sprit. Bin ich nachher wieder nach Saint-Omer. Eine Bristol Blenheim habe ich ähnlich erledigt. Erst habe ich hinten in das Seitenleitwerk hereingeschossen. Und der Heckschütze schoss immer so rechts und links vorbei. Einmal bin ich rechts rausgeschert, fing an zu schießen, dann schoss er auf mich wie so ein Irrsinniger. Bin ich wieder nach links heraus, und als ich links herausscherte, drückte ich auf den Knopf drauf, da platzte seine Kuppel weg, weil ich auf den Kanonenknopf gedrückt habe. Sie ist weggeplatzt, und er lag drin und war schon tot. Habe ich hinten in das Seitenleitwerk hereingehalten, da flog hinten der Schwanz weg, solche Stückchen von der Flosse, und die Mühle kippte ab. [171]
    Strukturell vergleichbare Geschichten könnte man auch von Motorradfahrern oder Extremsportlern hören – und tatsächlich haben die Erwähnungen von Toten in den Geschichten lediglich den Charakter von Beschreibungsmerkmalen. Opfer haben nie Attribute in diesen Geschichten, sie treten in den Beschreibungen der Flieger exakt so auf, wie man es erst ein halbes Jahrhundert später in der Ästhetik von Computerspielen und besonders von »Ego-Shootern« zu reproduzieren begann. Dieser Vergleich ist insofern kein Anachronismus, als es sowohl beim realen wie beim fiktiven Abschießen weniger um ein definiertes Ergebnis geht als um den Vorgang selbst. Der steht und fällt mit der Geschicklichkeit und dem Reaktionsvermögen der Flieger bzw. Spieler, die Resultate sind »counts«, nämlich gezählte Abschüsse ganz unterschiedlicher Art. Man muss sehen, dass dieser Wettbewerbs- und Sportcharakter, gekoppelt mit einer typisch männlichen Technikfaszination, Teil des Referenzrahmens ist; das Opfer als Individuum oder als Teil eines Kollektivs ist dabei überhaupt nicht wichtig. Es ist den Erzählern, so kann man jedenfalls aus dem völligen Fehlen von Merkmalen und Beurteilungen schließen, total gleichgültig, wen sie treffen, Hauptsache ist,
dass
sie treffen – und darüber gute Geschichten erzählen können.
    BIEBER *: Was greift ihr denn so bei Tag ungefähr an? Was für Ziele sind das?
    KÜSTER *: Das kommt darauf an.

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