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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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nicht, dass demokratische Staaten per se gewaltabstinent wären. Es heißt lediglich, dass der Referenzrahmen der Gewalt in der Moderne ein anderer ist als in nicht-modernen Kulturen – es geht also nicht um Gewalt oder Nicht-Gewalt, sondern um Maß und Modus ihrer Regulierung.
    Dafür, dass Menschen sich entscheiden, andere Menschen zu töten, ist es hinreichend, dass sie sich existentiell bedroht fühlen und/oder sich legitim dazu aufgefordert fühlen und/oder darin einen politischen, kulturellen oder religiösen Sinn sehen. Das betrifft nicht nur die Anwendung von Gewalt im Krieg, sondern auch in anderen sozialen Situationen. Deshalb ist die Gewalt, die Wehrmachtsoldaten ausüben, auch nicht »nationalsozialistischer« als die Gewalt, die etwa britische oder amerikanische Soldaten anwenden. Nur dort, wo sie sich auf die intentionale Vernichtung von Menschen richtet, die selbst beim bösesten Willen nicht als militärische Bedrohung zu definieren sind, wird sie spezifisch nationalsozialistisch – und das betrifft die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen und vor allem die Vernichtung der Juden. Dafür liefert der Krieg – wie übrigens für alle Genozide – den Rahmen, in dem zivilisatorische Schranken aufgehoben werden. Der Krieg lieferte auch eine Menge Wehrmachtsoldaten als amtshelfende Vollstrecker, aber die Judenvernichtung machte eben nicht den Krieg aus. Dennoch hat sie als bislang extremste Form menschlicher Gewalt die Sicht auf diesen Krieg angeleitet und überformt. Und dieses historisch einzigartige Verbrechen dominiert in der heutigen Wahrnehmung auch die exorbitante Gewalt, die sich in den mehr als 50 Millionen Toten dieses bis dato verheerendsten Krieges der Geschichte manifestiert. Die meisten Opfer hat jedoch nicht der Holocaust gefordert, sondern die Gewalt des Krieges. Und alle Kriege seither zeigen, dass es unangebracht ist, sich darüber zu empören und zu wundern, dass Menschen sterben, getötet und verkrüppelt werden, wenn Krieg ist. Wenn Krieg ist, ist das so.
    Man sollte sich stattdessen besser fragen, ob und unter welchen sozialen Bedingungen Menschen vom Töten ablassen können. Dann könnte man aufhören, jedes Mal, wenn sich Staaten dazu entscheiden, Krieg zu führen, in ostentative Erschütterung darüber zu verfallen, dass es dabei Verbrechen und Gewalt gegen Unbeteiligte gibt. Die gibt es deswegen, weil der Referenzrahmen »Krieg« Handlungen gebietet und Gelegenheitsstrukturen entwickelt, in denen Gewalt nicht oder nicht vollständig eingehegt und begrenzt werden kann. Wie jede soziale Handlung, so hat auch Gewalt eine spezifische Dynamik, und was das ist, war in diesem Buch zu sehen.
    Wird es einer historischen oder soziologischen Analyse der Gewalt jemals möglich sein, in Betrachtung ihres Gegenstands die moralische Gleichgültigkeit zu entwickeln, die ein Quantenphysiker gegenüber einem Elektron hat? Wird sie jemals fähig sein, das Töten als soziale Möglichkeit mit derselben Distanz zu beschreiben wie das Funktionieren von Wahlen oder Parlamenten? Als Kind der Moderne sind die Geschichts- und Sozialwissenschaften deren Grundannahmen über sich selbst verpflichtet, und deshalb tun sie sich so schwer mit allen Phänomenen, die diese Grundannahmen in Frage zu stellen drohen.
    Wenn man aufhört, Gewalt als Abweichung zu definieren, lernt man mehr über unsere Gesellschaft und wie sie funktioniert, als wenn man ihre Illusionen über sich selbst weiter teilt. Wenn man also Gewalt in ihren unterschiedlichen Gestalten in das Inventar sozialer Handlungsmöglichkeiten menschlicher Überlebensgemeinschaften zurückordnet, sieht man, dass diese immer auch Vernichtungsgemeinschaften sind. Das Vertrauen der Moderne in ihre Gewaltferne ist illusionär. Menschen töten aus den verschiedensten Gründen. Soldaten töten, weil das ihre Aufgabe ist.

Dank
    Ein Buch wie dieses geht auf Forschungen zurück, die auf vielen Schultern ruhen. Ohne die Unterstützung zahlreicher Kolleginnen und Kollegen wäre es nicht möglich gewesen, diese Studie vorzulegen.
    Unser größter Dank gilt der Gerda-Henkel- und der Fritz-Thyssen-Stiftung, die unsere Forschergruppe finanziert haben. Dr. Michael Hanssler, Dr. Angela Kühnen, Dr. Frank Suder und ihre Teams haben uns äußerst engagiert unterstützt. Sie und ihre Häuser sind beeindruckende Beispiele dafür, wie zielorientiert, effizient, unkompliziert und persönlich angenehm Wissenschaftsförderung sein kann.
    Prof. Dr. Michael Matheus,

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