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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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Gebäude.
    02:26 Gott verdammt.
    Das Verhängnis der Menschen am Boden beginnt in dem Augenblick, als einer der Soldaten der Hubschrauberbesatzungen eine Person mit einer Waffe zu erkennen meint. Vom Zeitpunkt dieser Identifikation wird die Personengruppe am Boden, die die Besatzungen aus weiter Entfernung über Monitore beobachten, zu einem »Ziel«; die Absicht, dieses Ziel anzusteuern und zu vernichten, ist damit praktisch voreingestellt. Innerhalb weniger Sekunden werden von anderen Besatzungsmitgliedern weitere Waffen identifiziert; aus der einen waffentragenden Person werden innerhalb weniger Sekunden mehrere, aus den Waffen werden Schnellfeuergewehre vom Typ AK 47, schließlich wird aus einer AK 47 eine Panzerabwehrrakete. Als der eine Helikopter die Freigabe zum Angriff bekommt, verschwindet die Gruppe aus seiner Optik, weil sie sich hinter einem Gebäude befindet. In diesem Augenblick richtet sich die Wahrnehmung der Soldaten nur mehr darauf, die Personen wieder ins Visier zu bekommen. Nun werden von den vermeintlichen Aufständischen die Waffen nicht nur getragen – jetzt heißt es: »Wir hatten einen Mann, der geschossen hat, und jetzt ist er hinter dem Gebäude.« Gerade durch das Verschwinden der Gruppe aus dem Sichtfeld der Helikopterbesatzungen wird die Absicht, die Personen so schnell wie möglich »unschädlich« zu machen, unaufhaltbar; jede Frage, ob es sich tatsächlich um »Aufständische« handelt oder ob überhaupt Waffen im Spiel sind, hat sich gleichsam von selbst beantwortet. Die Soldaten haben die Situation definiert; ab dieser Definition entfaltet sich ein folgerichtiger Prozess. Gruppendenken und wechselseitige Bestätigungen über das Wahrgenommene wenden die faktische Situation ins Phantastische: Denn was die Soldaten sehen, sieht der Betrachter des Videos keineswegs. Aber der ist auch von jeder Entscheidung entlastet: Vor ihm entfaltet sich ein Geschehen, mit dem er nichts zu tun hat. Die Aufgabe der Hubschrauberbesatzungen wie der Bodentruppen jedoch besteht in der Bekämpfung von »Aufständischen«; jede Person, die sich unten auf der Straße befindet, wird unter dieser Voraussetzung wahrgenommen. Jeder Verdacht, den eine solche Person, aus welchen Gründen auch immer, auf sich zieht, hat die fatale Eigenschaft, sich durch weitere Indizien selbst zu bestätigen. Wenn eine Personengruppe, die bereits scheinbar eindeutig identifiziert ist, sich dann auch noch dem Sichtfeld entzieht, herrscht in der Wahrnehmung der Soldaten höchste Gefahr: Jetzt ist alles nur noch auf die Bekämpfung des »Zieles« eingestellt.
    02:43 Du bist ›Clear‹ [Feuer frei].
    02:44 Alles klar, schieße.
    02:47 Sag Bescheid, wenn du sie erwischt hast.
    02:49 Lasst uns schießen.
    02:50 Fackel sie alle ab.
    02:52 Komm schon, schieß!
    02:57 Weiterschießen, weiterschießen.
    02:59 Weiterschießen.
    03:02 Weiterschießen.
    03:05 Hotel. Bushmaster Zwei-Sechs, Bushmaster Zwei-Sechs, wir müssen uns bewegen, es ist Zeit.
    03:10 Alles klar, wir haben gerade auf alle acht Individuen geschossen. [...]
    03:23 Alles klar, hahaha, ich hab sie erwischt ...
    Innerhalb kürzester Zeit sind acht Menschen tot, einer verletzt. Der Angriff selbst hat die Definition der Situation unbezweifelbar gemacht: Denn jetzt hat tatsächlich eine Kampfhandlung stattgefunden, während sie zuvor lediglich phantasiert wurde. Das Video, das bei seiner illegalen Veröffentlichung als spektakulär empfunden wurde, vor allem, weil hier amerikanische Soldaten ganz offensichtlich eine Gruppe wehrloser Zivilisten aus der Luft, ohne jede eigene Gefährdung, töten, ist bei genauerer Betrachtung völlig unspektakulär. Alles das, was hier zu sehen ist, findet im Referenzrahmen »Krieg« andauernd und mit einer gewissen Zwangsläufigkeit statt. Mit dem WikiLeaks-Video lässt sich anschaulich illustrieren, was damit gemeint ist, dass die Folgen real sind, wenn Menschen eine Situation als real definieren (vgl. S. 21). Die Soldaten haben eine Aufgabe; diese Aufgabe versuchen sie zu erfüllen. Um das zu tun, betrachten sie die Welt professionell: Jeder da unten ist ein Verdächtiger. Und zur professionellen Weltbetrachtung gehört, sich über die Wahrnehmungen auszutauschen – mit der Tendenz, dass sich die einmal gemachten Beobachtungen und Kommentare wechselseitig bestätigen. So werden aus einem Gewehr mehrere und schließlich Raketen, so werden aus Passanten Kämpfer. Man kann das »Gewaltdynamik«, »Gruppendenken« oder auch

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