Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
in einen Spiegel in das verschlafene Gesicht eines Kameraden, der sich die Zähne putzt oder blind rasiert. Das geschieht natürlich alles unter den Augen eines Ausbilders. Jeder, der gegen den Befehl verstößt, den Waschraum nur mit freiem Oberkörper zu betreten, wird rigoros aufgefordert, das Schlafanzugoberteil auf die Stube zu bringen. Die acht Minuten, die einem für die komplette Morgentoilette zugestanden werden, verknappen sich dadurch merklich.
Kaum ist die Zeit abgelaufen, werden wir auf den Flur gerufen: »Zwoter Zug – vor den Stuben antreten!« Das ist das Signal, um die Stubentür, an der wir alle bereits mit blank geputzten Stiefeln und tadellos sitzender Uniform leise und lauschend warten, aufzureißen und in affenartiger Geschwindigkeit Aufstellung zu nehmen. Das hat man uns am Abend zuvor eingeschärft, ebenso, dass man beim Militär nicht »zwei« sagt, sondern immer nur »zwo«, um eine Verwechslung mit der ähnlich klingenden Zahl Drei auszuschließen. Wir werden mit strengem Blick begutachtet und wer noch einen Bartschatten hat, wird zum Nachrasieren geschickt. Einige müssen einen Knopf am Feldhemd schließen oder ihren Stiefelputz verbessern, weil die Sohle nicht mit Schuhcreme geschwärzt wurde. Als dem Ausbilder ein paar lose aus dem Stiefel hängende Schnürsenkel auffallen, verliert er die Geduld: »Sie haben eine Minute, um sich ordentlich anzuziehen! Auf die Stuben wegtreten!« Aber auch beim nächsten Antreten erregt etwas sein Missfallen und genauso bei den darauf folgenden, sodass wir wie ein aufgeregter Vogelschwarm zwischen Stube und Flur hinund herfliegen. Spätestens als wir nach dieser Flugschau auf dem Flur Liegestütze und Situps machen, sind wir alle schweißgebadet.
Nun werden wir zum Essen geführt und laufen wie junge Gänse in einer Reihe hintereinander her, verzweifelt um Gleichschritt bemüht, um dem Vordermann nicht ständig in die Hacken zu treten. In der Kantine wird das Frühstück hastig auf ein Tablett gerissen und an einem der ungedeckten weißen Tische verschlungen. Da wir nach Größe gestaffelt marschiert sind und so den Mannschaftsspeisesaal betreten haben, bleibt denjenigen, die unterhalb des Gardemaßes liegen, am wenigsten Zeit zum Essen. Den Rest des Tages hetzen wir von einer Ausbildungsstation zur nächsten und werden mit Dingen und Begriffen überhäuft, die völliges Neuland für uns sind. Als am Wochenende eine zweistündige Dienstunterbrechung ausgerufen wird und wir zum ersten Mal die Gelegenheit erhalten, im Mannschaftsheim ein Bier zu trinken, hält es niemanden auf seiner Stube.
Während der gesamten Grundausbildung werden wir im Laufschritt von einer Station zur nächsten gescheucht. Trotz der Anstrengungen gewöhne ich mich schneller als erwartet an den militärischen Drill und die gemeinsam mit meinen Kameraden durchgestandenen Abschnitte der Ausbildung. Zur Verblüffung meines Vaters lässt man uns am Wochenende nach Hause fahren. Lediglich drei Leute müssen in den sauren Apfel beißen und dem jeweiligen Unteroffizier vom Dienst, in der bundeswehrtypischen Art zu UvD abgekürzt, bei der unbeliebten, 24 Stunden dauernden Bewachung des Kompanieblocks helfend zur Seite stehen. Daher wird die Abkürzung GvD, für Gefreiter vom Dienst, auch gerne etwas derber interpretiert. Für alle anderen beginnt im Anschluss an den Stubendurchgang am Freitagmittag die sogenannte NATO-Rallye. Jeder versucht als Erster auf die Autobahn zu kommen, um dem folgenden Stau eine Nasenlänge voraus zu sein. Wer allerdings beim Stubendurchgang dabei ertappt wird, seine Ausrüstung schlampig gereinigt oder im Spind verstaut zu haben, kann sich auf eine späte Heimfahrt einstellen.
Die Rekrutenbesichtigung erlebe ich nach dieser Schinderei als krönenden Abschluss. Diese 36Stunden dauernde Prüfung alles dessen, was wir beigebracht bekamen, ist meine bislang größte körperliche Herausforderung. Durch das tägliche Training bin ich aber so gut vorbereitet, dass ich eine Leistung abrufen kann, die ich mir zuvor niemals zugetraut hätte.
Nach drei Monaten ist die Grundausbildung endlich überstanden. Die alten, olivgrünen Uniformen werden in der Kleiderkammer gegen neue in Flecktarnmuster eingetauscht. Es ist ein erhabenes Gefühl, den Feldanzug zum ersten Mal anzuziehen. Endlich ist man nicht mehr als Neuling zu erkennen, der kritisch beäugt und ständig korrigiert wird. Mit stolzgeschwellter Brust genieße ich das Privileg, die Kaserne nun in diesem Anzug
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