Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
lieber nicht nach, sondern orientiere mich an den anderen. Im Gebäude sammeln wir uns in einer kleinen Halle. Wir bekommen stapelweise Zettel in die Hand gedrückt, sogenannte PEBA. Im Klartext sind das Personalerfassungsbögen, die wir schleunigst lesen, ausfüllen und unterschreiben sollen. Am Ende weiß ich gar nicht mehr, was ich da alles unterzeichnet habe, aber mir bleibt auch keine Zeit, darüber nachzudenken. Wir werden in einen Hörsaal gescheucht, dort beginnt sofort der Unterricht. Uns wird im Eilverfahren eingetrichtert, wie wir uns zukünftig zu verhalten haben. »Zum Essen haben Sie zehn Minuten Zeit – inklusive Hinund Rückmarsch, Anstehen und Abräumen. Niemand geht selbstständig irgendwohin. Sie werden auf allen Wegen von einem Ausbilder geführt und absolvieren diese im Laufschritt. Wer zum WC, zum Arzt oder sonstwohin alleine geht, meldet sich auf jeden Fall bei seinem Vorgesetzten ab und anschließend auch wieder zurück.«
Dafür habe ich eine gut bezahlte Anstellung als Chefkoch sausen lassen? Um mir hier alles vorschreiben lassen zu müssen? Von der Art und Weise, wie und wann ich eine Kopfbedeckung aufzusetzen habe, bis zum Fußnagel, der nach irgendeiner Zentralen Dienstvorschrift gerade und ja nicht rund abzuschneiden ist. Statt mit meiner Freundin gemütlich in unserer Wohnung zu sitzen, muss ich mich auf eine massive Einschränkung meiner persönlichen Freiheit einstellen. Die nächsten zehn Monate soll ich mit fünf Kameraden, die mir bis dato völlig unbekannt sind, in einer kleinen, miefigen Stube hausen. Außer drei durchgelegenen Etagenbetten mit fleckigen Matratzen, sechs hässlich orangefarbenen oder grünen Spindschränken sowie zwei einfachen Tischen und sechs ungepolsterten Stühlen in derselben Farbauswahl ist der Raum kahl. Die Wände sind weiß getüncht und der Boden ist mit einem dunklen Parkett belegt, das seine glanzvollen Tage lange hinter sich hat. Ich frage mich, worauf ich mich hier eingelassen habe. Bis in die Abendstunden wird uns absolute Aufmerksamkeit abverlangt. Wem trotz der Kälte im Hörsaal die Augen zufallen, wird befohlen aufzustehen. Einer schläft allerdings sogar im Stehen ein, mein Stubenkamerad Limmann, direkt neben mir. All meine Bemühungen, ihn mit Ellbogenstößen in die Rippen wach zu halten, haben nicht gefruchtet. Mit Liegestützen soll er seinen Kreislauf wieder in Schwung bringen.
Es ist seit Langem dunkel, als der Unterricht endlich beendet wird. Ins Bett dürfen wir allerdings nicht, wir müssen noch zur Einkleidung nach Wilhelmshaven fahren. In kalter Nachtluft steige ich auf die Ladefläche eines dieser gut dreißig Jahre alten Militärtransporter, die mir auf dem Weg zur Kaserne begegnet sind. Nun sitze ich also selbst auf dieser schmalen Holzbank und schnalle mich und drei Leidensgenossen mit einem Gemeinschaftsgurt über die Hüften an. Das ist nötig, denn dem Fahrer scheint es völlig egal zu sein, ob er Personen oder Sandsäcke an Bord hat. Als wir die Kleiderkammer betreten, sind wir froh, uns in dem gut beheizten Gebäude etwas aufwärmen zu können. Wer jedoch seine Ausrüstung für die nächsten zehn Monate entgegengenommen hat, muss mit einem randvoll gepackten Seesack und einer genauso voluminösen sogenannten Kampftragetasche sofort wieder vor die Tür und dort auf die Abholung warten. Die Raucher nutzen die Gelegenheit, um sich gierig die erste Zigarette seit Stunden anzuzünden. Wir wuchten unsere neue Garderobe auf die eintreffenden Fahrzeuge und fahren zurück zur Kaserne, wo wir todmüde ins Bett fallen.
Keine vier Stunden später müssen wir wieder aufspringen. Um 05:00 Uhr hallt die Stimme des UvD durch das Gebäude: »Fünfte Kompanie!«, gefolgt von einem langgezogenen »Aufstehen!« Einhundertzwanzig blaue Plastikbadelatschen klappern eilig über die blassgelben Bodenfliesen zu den Gemeinschaftswaschräumen. Wir tragen alle nur die schlabberige, hellblaue Schlafanzughose und haben außer einem olivgrünen Handtuch einen Waschzeugbeutel gleicher Farbe in den Händen. Die Waschbecken an der Wand sind zuerst belegt, denn über ihnen hängt ein Spiegel, in dem man wenigstens sehen kann, ob man sich bei der flinken Rasur die Wangen zerschneidet. Wer zu spät auf die Beine kommt, muss sich mit einem der beiden Waschbecken zufriedengeben, die den Raum auf der ganzen Länge mittig teilen. Sie erinnern mich an die langen Futtertröge in einem Rinderstall. Diejenigen, die nur noch dort einen Platz finden, schauen statt
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