Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
großartige Chance für einen gerade mal neunzehnjährigen Koch. Doch weil zuvor geklärt sein muss, wie lange ich dem Betrieb bis zu meiner Einberufung zum Wehrdienst zur Verfügung stehen kann, erkundige ich mich auf dem Amt nach deren Planung. Im gleichen Augenblick, in dem die Dame mir offenbart, dass ich gar nicht auf der Liste bin, ärgere ich mich über mein pflichtbewusstes Handeln. »Können wir es dann nicht dabei belassen?«, frage ich hoffnungsvoll. Doch es ist zu spät. Mit flinken Fingern ist mein Name bereits getippt. Der Computer hat mich als Wehrpflichtigen erfasst.
Seit diesem Tag gingen mir ständig Kindheitserinnerungen aus DDR-Zeiten an meinen Großvater durch den Kopf. Er war ein ranghoher Kommandeur der Kampfgruppen und hat mich oft zu Militärparaden mitgenommen. Stolz sah ich zu ihm auf, wenn er in seiner prächtigen Uniform mit ordenbehängter Brust von allen militärisch zackig und respektvoll gegrüßt wurde. Soldaten waren in der DDR grundsätzlich etwas ganz Besonderes. Seit der ersten Schulklasse sahen wir in unserer Fibel Geschichten und Bilder von Soldaten, die unser Land beschützten. Selbstverständlich schuldete das Volk ihnen dafür Dank und Anerkennung.
Einmal durfte ich meinen Opa am Tag der offenen Tür in eine russische Kaserne begleiten. Das war aufregender als Geburtstag und Weihnachten zusammen. Er zeigte mir alle Fahrzeuge und ich durfte sie anfassen, mich hineinsetzen und ihm Dutzende Fragen stellen. Mich ärgerte zwar, dass ich keines der Gewehre anfassen sollte, ebenso, dass mein Großvater abwinkte, als ein russischer Soldat mir eine Pistole zeigen wollte, aber es gelang ihm rasch, mich wieder aufzumuntern, indem er mich in einen Panzer setzte und aus der Deckelluke schauen ließ. Seit dem Besuch auf dem Meldeamt kamen mir auch wieder die langen Familienfahrten mit dem Trabant von Rostock nach Berlin in den Sinn. Dort überholten wir häufig Kolonnen von NVA-Transportern. Meine Schwester und ich winkten den Soldaten vom Auto aus zu. Bei den 80km/h Reisegeschwindigkeit der ostdeutschen Rennpappen hatte man reichlich Zeit dazu. Die Soldaten lachten dann und winkten uns zurück. Besondere Freude machte es uns, wenn sie uns mit dem Tatra oder Ural per Lichthupe antworteten. Die Bezeichnungen dieser aus sowjetischer Produktion stammenden Fahrzeuge der NVA hatte mir mein Opa schon früh beigebracht.
Zu meinem achten Geburtstag bekam ich von ihm ein Kinderbuch geschenkt, das ich seither sorgsam aufbewahre. Es heißt »Unsere Nationale Volksarmee« und informiert über Land, Luft-und Seestreitkräfte der Nationalen Volksarmee und über den Dienst bei den Grenztruppen der DDR. Zahlreiche farbige Zeichnungen und Fotos bilden die damals moderne Technologie der Streitkräfte der NVA ab. Schützenwaffen, Panzer, Kanonen, Jagdflugzeuge, Raketen; Schiffe und Boote der Volksmarine werden präsentiert und interessante, vielseitige militärische Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten in Aussicht gestellt. Stundenlang konnte ich mir das Buch ansehen. Die Panzer und die Fallschirmjäger der NVA malte ich besonders gerne ab. Diese Bilder hingen lange Zeit über meinem Bett oder bedeckten den Tisch in meinem Kinderzimmer.
An meiner Schule sah ich den älteren Schülern vom Klassenfenster aus neidisch bei ihren militärischen Übungen auf dem Pausenhof zu. Ich wollte auch im braunen Sportanzug und mit einem Holzgewehr, das dem AK47 nachempfunden war, Nahkampfübungen absolvieren, statt Mathe zu pauken. Im Unterricht wurde häufig über den Zweiten Weltkrieg geredet. Uns wurde vermittelt, dass der Kapitalismus ein schlimmes Übel sei, das mit jeglichem Krieg in direktem Zusammenhang stehe. Doch dank unserer Grenzsoldaten und der Soldaten der Nationalen Volksarmee sei unsere Heimat gut geschützt. Ich war zutiefst vom selbstlosen Edelmut der Soldaten überzeugt.
Etwa drei Monate nach meinem Termin im Meldeamt erfolgt die Musterung. T1– Tauglichkeitsstufe 1, das bedeutet, dass ich alle Tests der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit besonders gut bestanden habe und für jede Verwendung bei der Bundeswehr geeignet bin. Ich darf mir sogar aussuchen, zu welcher Truppengattung ich mich entsenden lasse. Man empfiehlt mir, mich für einige Jahre bei der Luftwaffe zu verpflichten, und stellt mir eine Ausbildung zum Hubschrauberpiloten in Aussicht. Mir kommen die ausgedehnten Gespräche über das Militär in den Sinn, die mein Großvater mit meinem Vater geführt hat. Auch er hat in der
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