Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Nicht die Afghanen und schon gar nicht man selbst. Die Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitsbehörden machte Fortschritte. Gemeinsam wollte man aus Afghanistan einen funktionierenden demokratischen Staat machen. Der Norden war ruhig. Doch anderenorts lieferten sich die Amerikaner schon heftige Schlachten mit den Aufständischen, den wieder erwachten Taliban. Und die wichen aus. Nach Norden.
Die Deutschen wollten nicht in den Krieg. Aber der Krieg kam zu ihnen. Langsam und unaufhaltsam. Die Politik wollte das lange nicht wahrhaben, man wollte den Menschen in der Heimat nicht die Wahrheit zumuten, dass ihre Soldaten, ihre Angehörigen, Söhne, Väter, Männer in einem regulären Krieg kämpften, aber nur ausgerüstet waren für eine Friedensmission. Keine schweren Waffen, mit denen man auf Raketenangriffe gegen das Lager zielgenau reagieren konnte – die dazu geeignete Panzerhaubitze 2000 lieh man höchstens den niederländischen Kameraden aus, die damit erfolgreich die Taliban auf Abstand halten konnten. Im deutschen Lager hätte das schwere Gerät allzu sehr nach Kriegswaffe ausgesehen. Ein solches Verleugnen der Realität und der damit unzureichenden Ausstattung der Truppe nannte der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr Kujat »skrupellos« – wohl der schwerste Vorwurf, den ein General der Politik und seinen Nachfolgern machen kann. Nicht einmal Kampfhubschrauber – die Grundausstattung jedes Anti-Guerilla-Krieges – konnte die Bundeswehr vorweisen.
Bei Patrouillenfahrten wurden die Deutschen immer wieder in schwere Gefechte verwickelt. Mit Verletzten und Toten. Inzwischen sprach auch die Politik von »Gefallenen«. Zuvor hieß es im offiziellen Sprachgebrauch: »einsatzbedingt ums Leben gekommen« in einer »besonderen Situation«. Die öffentliche Empörung über ihren Tod hielt sich in der Heimat in Grenzen. Dass sich ihre Soldaten mitten in einem blutigen Krieg befanden, konnten oder wollten die Deutschen noch nicht zur Kenntnis nehmen. Leidtragende waren die Soldaten an dieser unübersichtlichen Front, wo sie den Gegner weder angreifen noch sich gegen ihn zur Wehr setzen konnten.
Das änderte sich plötzlich, als Taliban zwei Tankwagen entführten und sie offenbar als fahrende Bomben gegen das Bundeswehrlager Kunduz einsetzen wollten. Die Lkw fuhren sich auf einer Sandbank fest und in dieser undurchschaubaren Gefahrensituation ließ der Lagerkommandant Bomben von amerikanischen Kampfflugzeugen abwerfen. Die Folge: Vermutlich hundertvierzig Menschen starben. Kriegsopfer, die das Selbstbild deutscher Politik erschütterten: Deutsche als Täter, das war fast schlimmer als Deutsche in der Opferrolle. Plötzlich war die Rede von einem deutschen Kriegsverbrechen, dabei zeigten sich in der Katastrophe von Kunduz wie »in einem Brennglas« (Kujat) die generellen Schwächen der Truppe: zu wenige Kampfsoldaten, unzureichende Ausrüstung und Aufklärung. In Deutschland ist gerade Wahlkampf, eine Diskussion über Afghanistan kommt da ungelegen. Aber dass – knapp 65 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg – deutsche Soldaten wieder sterben und auch töten müssen, ist in Berlin noch immer ein Tabu.
Die todbringende Bombennacht hat das Verhältnis der Deutschen zum Afghanistankrieg von Grund auf verändert. Es war das Ende der Lüge vom harmlosen Stabilisierungseinsatz. Der vormalige Verteidigungsminister Jung musste wegen seiner Vernebelungstaktik im Fall Kunduz zurücktreten, sein Nachfolger sprach erst von kriegsähnlichen Zuständen, dann vom Krieg. Und selbst die vorsichtige Kanzlerin hat sich inzwischen zur Realität durchgerungen. Die Deutschen sind angekommen in der Wirklichkeit dieses Weltkriegs gegen den Terror. Die Bundeswehr setzt jetzt auf eine neue Strategie. Die Soldaten sollen, wie es heißt, mehr Präsenz in der Fläche zeigen. Raus aus den abgesicherten Stützpunkten. Nicht um offensiv zu kämpfen, sondern um die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei und den Schutz der afghanischen Bevölkerung miteinander in Einklang zu bringen. Doch auch das ist nicht ohne Risiko. Oft entpuppt sich der afghanische Kamerad an der Seite als heimlicher Taliban und fällt den Soldaten in den Rücken, als Selbstmordattentäter, ohne Rücksicht auf das eigene Leben und das der Fremdlinge, die gekommen waren, um dem Land Frieden, Demokratie und Menschenrechte zu bringen.
Jetzt wird offenbar mit dem Feind verhandelt, mit den Taliban, damit man irgendwann wieder verschwinden kann aus diesem Land,
Weitere Kostenlose Bücher