Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
skeptisch, erbarmt sich jedoch: »Na gut, hier haben Sie eine Bibel, probieren Sie mal Ihr Glück.« Eine halbe Stunde später ist der Stotterer wieder da. Verkauft! Der erstaunte Vertriebsleiter gibt ihm jetzt drei Bibeln – nach einer Stunde sind auch die verkauft. Um es kurz zu machen: In zwei Tagen sind dreißig Bibeln verkauft, da nimmt der Vertriebsmann den Stotterer zur Seite und sagt: »Guter Mann, ich mache das seit zwanzig Jahren, habe aber noch nie erlebt, dass jemand so erfolgreich Bibeln verkauft. Ich verrate Ihren Trick nicht, aber sagen Sie mir bitte, wie Sie das machen.«
»G-g-ganz einfach. Ich k-klingel und sag, hier ist die Bi-Bibel, wollen S-S-Sie k-k-kaufen, oder soll ich vo-vo-vorlesen?«
Eine große Leitfigur dieser Art moderner Psychotherapie ist Viktor Frankl, der aus seiner eigenen Biografie eine unglaubliche Wende im therapeutischen Denken entwickelt hat. Im KZ hat er mit anderen jüdischen Häftlingen verabredet, jeden Tageinen Witz zu erzählen. Im Nachhinein sagte er, dass dieses Festhalten an der Freiheit im Kopf ihm in der verzweifelten Situation immer wieder Kraft gegeben habe. Aus seinen traumatischen Erfahrungen hat Viktor Frankl später die Logotherapie entwickelt, die davon ausgeht, dass Menschen das Erlebnis von Sinn, von Sinnhaftigkeit dringender benötigen als alles andere. Wenn ein Patient sich beispielsweise umbringen wollte, hat er ihn gefragt, warum er es bisher nicht getan hat! Er drehte also die Perspektive um und fragte sein Gegenüber nach dem, was ihm bisher Halt gegeben hat, um daran zu arbeiten.
Humor ist das bewährte Gegengift gegen irrsinnige Annahmen und felsenfeste Überzeugungen. Instinktiv lieben wir alle diese unumstößlichen Gewissheiten, aber der Humor kann sie ins Wanken bringen und die Perspektiven verändern. Wenn wir uns von dem Schock erholt haben, sehen wir klarer als vorher: Vielleicht ist alles ganz anders, nicht schwarz oder weiß, sondern bunt.
Ein Beispiel: Ein betrunkener Mann tastet sich um eine Litfaßsäule herum, läuft dabei immer im Kreis und schreit: »Hilfe, ich bin eingemauert!« Durch das Fassungsvermögen seines Magens ist das Fassungsvermögen seines Hirns eingeschränkt, er versteht nicht, dass er sich nur umdrehen müsste, um schlagartig frei zu sein.
Diese subversive Sprengkraft des Witzes erklärt auch, warum sämtliche Diktaturen, alle Herrschaftssysteme, die auf brutaler Unterdrückung und totalitärer Ideologie beruhen, ungeheure Angst vor Komik und Satire haben. Eines meiner großen Vorbilder, Werner Finck, hat in den Zeiten der Naziherrschaft beispielhaften Mut bewiesen. Zu einem Gestapo-Spitzel, der versuchte, seine Witze mitzuschreiben, sagte er: »Kommen Sie mit, oder soll ich mitkommen?« Und er fügte hinzu: »Ich stehe hinter jeder Regierung, unter der ich nicht sitzen muss, wenn ich nicht hinter ihr stehe.«
Die widerständige Tradition von Witzen setzte sich dann in den Zeiten des Kalten Kriegs im Ostblock fort. In der DDR erzählte man sich, Willy Brandt habe zu Walter Ulbricht gesagt: »Mein Hobby ist, Witze zu sammeln, die die Leute über mich erzählen.« Dazu Ulbricht: »Ich habe ein ganz ähnliches Hobby: Ich sammle Leute, die Witze über mich erzählen.«
Witze zünden im Kopf, wenn Bilder entstehen, die nicht zusammenpassen, und wir uns nicht entscheiden können, was denn nun »richtig« ist. Unser Verstand möchte so gerne immer alles verstehen und in Gut und Böse einteilen. In ihrer Komplexität und ihren Paradoxien sträubt sich die Welt indes gegen derart eindeutige Zuordnungen; damit wir daran nicht verzweifeln, wurde uns das Lachen geschenkt. Unser Geist kennt drei Zustände, in denen Widersprüche auftauchen und stehen bleiben können: der Traum, die Psychose und das Lachen. Unter ihnen ist das Lachen eindeutig der heilsamste Geisteszustand. Lassen Sie sich also anstecken von der gesündesten Infektionskrankheit der Welt: dem Lachen!
Schopenhauer meinte, jedes Lachen sei eine kleine Erleuchtung. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Vergnügen, Aufklärung und Erkenntnis bei der Reise meines Freundes Hellmuth Karasek durch die Welt der Witze. Und wenn Ihnen einer besonders gut gefällt, erzählen Sie ihn weiter. Glück kommt selten allein. Lachen auch. Gemeinsam zu lachen ist das, was uns Menschen erfolgreich macht. Statt uns die Köpfe einzuschlagen, lassen wir lieber den Geist Funken schlagen. Humor ist vor allen Dingen ein soziales Phänomen, das Aggressionen mindert, Menschen zu Gruppen
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