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Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Titel: Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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beschrieben, dass Männer beim Stammtisch schlüpfrige Witze oder doppeldeutige Witze oder auch Zoten mit Vorliebe dann erzählen, wenn eine weibliche Bedienung noch in Hörnähe ist. Sie brauchen auch unter Witzebrüdern das Gefühl, dass sie einen erotischen Kurzschluss zu einem weiblichen Wesen herstellen können. Nach dem Motto: Summen Sie es, ich werde es spielen. Besonders Witze mit absteigender Tendenz sind hierfür ein gutes Beispiel. Ich erinnere mich, dass ich vor vielen Jahren, als ich noch jung und schuldig war, besonders gern den folgenden Witz erzählt habe. Es handelt sich um einen Graf-Bobby-Witz:
     
    Graf Bobby unterhält sich mit seinem Freund Freddy darüber, wie viel Positionen es beim Lieben gibt.
(Da drängt sich mir der Arbeitslosenwitz in den Kopf, wo ein Arbeitsloser fröhlich nach Hause kommt und ruft: »Ich hab ’ne neue Stellung!«, und die Frau antwortet: »Du Schwein, hättest dich besser um Arbeit kümmern sollen.«)
    Bobby also denkt kurz nach und sagt: »Es gibt neunundneunzig Stellungen.«
»Nein, hundert«, sagt Freddy.
    Bobby rechnet wieder kurz im Kopf nach und sagt: »Nein, neunundneunzig.« Bis die beiden beschließen zu wetten, standesgemäß um eine Flasche Champagner.
»Gut«, sagt Bobby nach dem Handschlag zu Freddy,
»fang an aufzuzählen!.«
     
    Immer wenn ich damals so weit mit dem Witz gekommen war, bemerkte ich eine gewisse Unruhe in den Augen der von mir angepeilten Zuhörerin. Was sie empfand, würde man heute wohl als Vorausschämen bezeichnen. Oh Gott, der nette Herr K. wird doch jetzt nicht mit einer schrecklichen Zote aufwarten und ekligen Details. Sie rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her und hüstelte. Ich fuhr unerbittlich fort:
     
    »Also«, sagt Bobby zu Freddy, »fang an aufzuzählen!«
Darauf sagt Freddy: »Erstens, normal.«
Bobby unterbricht ihn und sagt: »Du hast gewonnen, das hatte ich ganz vergessen.«
     
    Große Erleichterung und Gelächter, auch bei meiner Zuhörerin. Gleichzeitig hatte ich sie sozusagen in eine Geheimverbindung mit meinen schmutzigsten Gedanken, die sie mir zutraute, gebracht. Wir waren gewissermaßen über etwas Unausgesprochenes verkuppelt. Wenn ich etwas übertrieb, so schämte sie sich sogar ein bisschen, weil sie mir so etwas Schmutziges zugetraut hatte. Ich war sicher, dass sie, in Gedanken wenigstens, tätige Reue übe. Viele Witze sind schlüpfrig, was nicht nur an die Flüssigkeit des Humors erinnert, sondern auch an das Ausrutschen auf dem doppelten Boden des Witzes, der ja, wenn er gut ist, das Zweideutige eindeutig macht und, indem er es verbessert, verschlimmert.
    Es gibt das entwaffnende Frage-und-Antwort-Spiel mit Woody Allen: »Muss Sex eigentlich immer schmutzig sein?« – »Wenn er gut ist, schon.«
    Die im Witz außer Kraft gesetzte Zensur, die für einen Moment den Blick auf die schmutzige beziehungsweise als schmutzig verschriene Wahrheit lenkt, erinnert an die Polizei, und zwar an die Sittenpolizei (die ja laut Freud auch im Hirn tätig ist). Im Witz findet das statt, was Karl Kraus für den Sittenskandal gesagt hat: »Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende bereitet.«
     
    Labiche und Feydeau, die großen französischen Salonkomödienschreiber des 19 . Jahrhunderts, stellten ihre Helden in zwei beliebten komischen Konstellationen dar, die für den Helden tragisch und für den Zuschauer komisch waren. Die erste Situation war die In-flagranti-Situation. Überraschend kommt der Ehemann nach Hause, der Liebhaber muss im Schrank oder im Kabinett verschwinden, es geht zu wie im zweiten Akt von Mozarts Figaros Hochzeit . Dieser Mechanismus schnurrt wie ein Maschinchen ab und erfüllt die Bergson-Definition von Komik: Komik ist Mechanik.
     
    Witzeerzähler sind immer auch Geschichtenerzähler. Dazu hat mir Reich-Ranicki, mit dem mich eine lange kollegiale Freundschaft verbindet, ein schönes Beispiel erzählt. Er hat in Polen, nach der Flucht aus dem Getto mit seiner Frau, bei einem polnischen Paar überlebt, das ihn unter Lebensgefahr versteckte. Die Reichs mussten tagsüber im Keller bleiben, wo sie für die Hausbewohner Zigaretten drehten. Der Pole, der sie versteckte, hat den kühnen faustischen Pakt mit trotzigem Heldenmut beschrieben: »Hitler hat vor, euch zu vernichten. Ich setze dagegen und werde euch zu überleben helfen.« Um den Polen in der Dunkelheit wegen der Stromsperre die Zeit angenehm zu vertreiben, erzählte Reich jeden Abend Geschichten. Er benutzte dazu sein ganzes

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