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Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Titel: Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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Will und kann nicht reden. Die Eltern suchen Ärzte auf, holen Gutachten ein. Keine Ursache für irgendeine Krankheit ist zu entdecken. Die Eltern sind ratlos.
    Eines Mittags bringt die Mutter die Suppe auf den Tisch, um den die Eltern und ihr Sohn vor ihren Tellern sitzen. Die Mutter tut die Suppe auf. Alle fangen an zu essen.
    Auf einmal sagt der Sohn: »Salz!«
    Die Eltern schauen sich fassungslos an. Starren auf ihren Sohn.
    »Du kannst ja sprechen!«, sagen sie zu dem Kleinen. »Warum hast du denn bisher nichts gesagt?«
    »Bisher hat ja auch kein Salz gefehlt«, antwortet der Junge.
     
    Ein Witz ist immer auch eine Geschichte. Und das auf zweierlei Art: etwas, das etwas erzählt, was sich zu erzählen lohnt, weil es unerhört ist. Und etwas, das erzählt wird, ist wie im Märchen: »Es war einmal«.
    Witze soll man grundsätzlich »erzählen«. So wie man, eigentlich, Märchen vorlesen soll und auch Geschichten, wie die berühmten aus Tausendundeiner Nacht grundsätzlich erzählt werden sollten. Bei der Scheherazade ist das »fiktive« Erzählen, das der Leser liest, sozusagen die konstitutionelle Voraussetzung.
     
    Sehr deutlich wird das bei folgendem Witz:
     
    Zwei Freunde treffen sich im Tennisclub. Sagt der eine zum anderen: »Sag mal, du hast ja richtig zugenommen.«
    Sagt der andere: »Du, ich weiß auch nicht. Aber beim Einschlafen liege ich immer neben meiner Frau, strecke die Hand nach ihr aus und berühre sie. Und sie schreckt hoch und sagt: ›Is was!‹ Ja, und dann stehe ich auf im Dunkeln, tapse in die Küche zum Kühlschrank und esse was!«
     
    Diesen Witz sollte man streng genommen immer erzählen, weil er nur beim Erzählen funktioniert. »Is was!«, das muss das verschliffene »Ist etwas?« sein, das der Hörer, der Mann im Halbschlaf, der Tastende, der die Hand vergeblich und verdrossen und eher aus Verlegenheit nach seiner Frau im Dunkeln ausstreckt, als »Iss was!« versteht, also als Aufforderung, sie in Ruhe zu lassen und besser stattdessen etwas zu essen.
    Dieser Witz, über den wir lachen, weil er eine überraschende Verwechslung parat hält, erzählt von einem Paar, Herrn Jedermann und Frau Jederfrau, wie es in voller Ausführlichkeit in zahlreichen Romanen, Erzählungen, Novellen vorkommt, hier verknappt auf eine Pointe, die im Missverständnis die Dunkelheit des Schlafzimmers im Licht der Wahrheit wie ein Blitzlicht beleuchtet. Etwas geschwollen ausgedrückt? Zugegeben. Aber es gibt Romane, Erzählungen, vornehmlich von Updike oder Walser oder Flaubert oder Tschechow, oder Dramen wie Gesellschaftskomödien, die von nichts anderem handeln. Ausführlicher. Aber, so paradox es klingt, die Ausführlichkeit dieses Witzes ist gerade seine Verknappung. Nachdem man ihn gehört hat, entfaltet die Geschichte ein Eigenleben, wie eine ins Wasser geworfene japanische Muschel, die sich nach und nach zu einerschönen Papierblume entfaltet. Nur dass diese Papierblume nicht die Schönheit der Poesie entfaltet, sondern dass sich die zynische Wahrheit der Realität in der winzigen Spitze einer Pointe, paradox gesagt, breitmacht.
    Eine Vierzeilengeschichte als Verlaufsgeschichte einer Ehe. Der Ehe. Im Zeitalter des Frustfressens, des Kummerspecks, des Nachts-zum-Kühlschrank-Gehens, dort, wo bei Axel Hacke der Bosch brummt, wenn sich der Erzähler sein Bier holt und die Zwiesprache des nächtlich Alleingelassenen mit dem technischen Gerät sucht.
    Wir wollen das alles nicht überstrapazieren. Aber Witze sind gesellschaftliche Momentaufnahmen, die Lebenslügen offenlegen, oder etwas bescheidener, eine Nummer kleiner: Ein Witz zeigt, was unsere Gewohnheiten über uns sagen.
    Und noch etwas zeigt sich an diesem Witz. Er hat einen Rahmen, eine Rahmenerzählung: Zwei Freunde, die einander länger nicht gesehen haben, treffen sich im Club. Der eine stellt eine gewisse Verfettung an dem anderen fest. Dieser Rahmen federt den Witz ab. Denn der Witz transportiert auch eine Art Beichte: Wir, sagt der Witzeerzähler, werden alle ein bisschen fett, weil uns das Leben faul, träge und zu Gewohnheitstieren macht.
    Solche Beichten wären, in »Alltagsprosa« erzählt – du, weißt du, dass ich zu Hause immer öfter aufstehe, um in der Nacht noch etwas aus dem Kühlschrank zu holen? –, ziemlich ermüdend. Es ist die Pointe, die die Wahrheit erträglich macht. Ich, der ich viel auf Reisen zu Lesungen und Vorträgen bin, ertappe mich dabei, dass ich des Nachts Toblerone oder Bounty aus der Minibar verzehre.

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