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Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)

Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)

Titel: Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Waldwesen, das sich im struppigen Gartenbuschland nicht heimisch fühlte. Bond stand auf rissigem, trockenem Boden, der mit Büscheln drahtigen Grases bewachsen war.
    Dann sah er den Papayabaum.
    Er war etwa drei Meter hoch und trug eine einsame reife Frucht. Bond packte den rauen Stamm und schüttelte ihn kräftig, dann stieß er mit den Schultern dagegen, um ihn hin und her zu schaukeln. Als die Papaya sich schließlich löste, fing er sie mit beiden Händen auf.
    Er suchte sich ein schattiges Plätzchen und bohrte den Daumennagel in die nachgiebige Haut, brach ein Stück ab, schnippte die weichen, dunklen Kerne weg und biss in das warme orangefarbene Fruchtfleisch. Es war feucht und süß und Balsam für Bonds wunde Kehle, als er es gierig hinunterschluckte. Er schloss die Augen und fühlte sich plötzlich auf die Terrasse des Blue Hills Hotel in Jamaika versetzt, wo er bei jedem Aufenthalt die zwei Hälften einer geeisten Papaya, beträufelt mit dem Saft einer frischgepressten Limette, zum Frühstück genoss. Für eine Tasse Blue-Mountain-Kaffee und eine Zigarette hätte er nun sogar einen Mord begangen. Die unvermittelte Erinnerung an jene Tage, jene Lebensweise schnürte ihm die Kehle zu. Über seine sentimentale Anwandlung verärgert, verschlang er den Rest der Papaya mit der Gefräßigkeit eines Höhlenmenschen, samt den Kernen, und schabte mit seinen Zähnen die letzten Fasern Fruchtfleisch von der Haut.
    Unglaublich, wie gut er sich fühlte, nachdem er endlich etwas gegessen hatte. Die Morgensonne stand eindeutig noch im Osten, so dass er sich leicht nach Süden orientieren konnte. Er machte sich zielstrebig wieder auf den Weg. Zweihundert Meter vom Papayabaum entfernt stieß er auf eine Piste für Räderfahrzeuge. Er folgte der Piste zu einer Schotterstraße mit einem uralten, ausgebleichten Schild, auf dem »Forêt de Lokani« stand, ein vergessenes Überbleibsel aus der französischen Kolonialzeit, aber auch ein Hinweis darauf, dass hier Menschen verkehrten. Diese Entdeckung regte Bonds Lebensgeister noch mehr an, und er lief munter die Straße entlang.
    Hinter einer Biegung erblickte er die strohgedeckten, kegelförmigen Dächer eines kleinen Dorfes, eine halbe Meile entfernt. Mit einem schweren Stock als behelfsmäßige Waffe ging er vorsichtig auf die Lehmhütten zu. Kein Rauch erhob sich von irgendwelchen Kochstellen, die Kassawa-Felder waren verdorrt und verwildert. Im Dorf hielt sich Bond dicht an die Lehmwände der rund zwanzig Behausungen, die sich um einen großen Schattenbaum drängten. Bei einigen Hütten war das Strohdach verbrannt, bei ein, zwei anderen waren die Wände zertrümmert, augenscheinlich durch schwere Geschütze. Als er den Dorfplatz aus gestampfter Erde direkt unter dem Baum betrat, erblickte Bond drei Leichen – eine Frau und zwei Männer – im fortgeschrittenen Zustand der Verwesung. Er wich dem Fliegenschwarm aus, der sie sirrend umkreiste, und begab sich auf die Suche nach Wasser – einem Brunnen oder Trog. Es musste doch einen Bach oder Fluss in der Nähe geben, eine leicht zugängliche Quelle – afrikanische Dörfer waren nie weit vom Wasser.
    In einem Hütteneingang sah er einen kleinen Jungen sitzen, der sich leicht an den Türpfosten lehnte. Der Junge war so ausgemergelt wie ein Hutzelgreis. Er war nackt, seine Rippen traten unter der schlaffen, staubigen Haut hervor, die dürren Beinchen waren mit schwärenden Wunden bedeckt, sein überdimensioniert wirkender Kopf drohte ihm fast vom dünnen Hals zu fallen. An Augenlidern und Mundwinkeln saßen Fliegen. Er starrte Bond trübe an, ohne Interesse an diesem Weißen zu zeigen, der plötzlich vor ihm stand.
    Bond kauerte fassungslos vor ihm.
    »Hallo«, sagte er mit einem gekünstelten Lächeln. Dann wurde ihm klar, wie dämlich er sich anhörte.
    Hinter dem Jungen bewegte sich etwas. Ein weiteres Kind mit Totenschädel tauchte auf und starrte ihn ausdruckslos an. Bond stand auf, um einen Blick in die Hütte zu werfen, wich aber vor dem entsetzlichen Gestank zurück, der dort herrschte. Er musste speien. Offenbar war die Hütte voller Kinderleichen. Darin rührte sich nichts mehr. Bond vermutete, dass der Hunger die Kinder in diesen Zustand tödlicher Trägheit versetzt hatte. Sie verzogen sich in den Schatten und warteten so lange, bis sie starben. Das war das Los der Schwachen und Verlassenen im schrumpfenden Kernland von Dahum.
    Als Bond das Dorf verließ, fühlte er sich hilflos und niedergeschlagen. Er hatte eine

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