Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
kroch so schnell wie möglich davon. Er igelte sich in einer Mulde ein und bedeckte sich mit welken Blättern. Erst hatte Blessing die Nerven verloren, dann den Verstand. Wie konnte sie nur so kopflos davonstürzen, dachte Bond. Dann hörte er ihren Schrei, schrill und zutiefst verängstigt, gefolgt von einer langen Reihe von Schüssen, die erst endeten, als Blessing erneut aufschrie. Bond wurde übel, er presste die Stirn in die Erde, atmete flach und wartete. Der Kugelregen ließ allmählich nach und verhallte. Bond hatte den Eindruck, dass viel Geschrei von der Straße herdrang, dann hörte er das metallische Poltern von Gleisketten, demnach rollte eine Art Panzerfahrzeug an.
Er blieb regungslos liegen, zählte die Sekunden, die Minuten. Er sah den Schein von Taschenlampen inmitten der Bäume und hörte Schlachtrufe und Jubelschreie – das mussten Soldaten der Zanza-Armee sein. Kurz überlegte er, ob er sich ihnen ergeben sollte, aber dann wurde ihm klar, dass sie jeden umnieten würden, der jetzt noch aus dem Dunkeln auftauchte. Es war besser, sich nicht zu rühren. Ob sie Kobus erwischt hatten? Vielleicht war er tot? Bond hörte das gepanzerte Fahrzeug wieder wegrollen.
Als es im Wald ganz still geworden war, nahmen die Insekten, Vögel und Tiere ihr Summen und Sirren und Piepsen und Zwitschern und Kreischen wieder auf. Bond setzte sich langsam auf. Zwar konnte er Rauch und Kordit riechen, aber er hörte nichts, was auf eine menschliche Präsenz schließen ließ. Er rutschte rückwärts, bis er einen Baumstamm spürte, an den er sich anlehnte. Bond zog die Knie an und schloss die Augen, versuchte, jeden Gedanken an Blessing und an das, was ihr widerfahren sein mochte, zu meiden. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als auf den Tagesanbruch zu warten.
9. James Bonds langer Marsch
Irgendwann im Lauf der Nacht war Bond eingeschlafen, sitzend an den Baum gelehnt, den Kopf auf den Knien, die Arme um die Beine geschlungen. Beim ersten Sonnenstrahl wachte er auf, streckte ganz langsam die Beine aus, massierte seine tauben Oberschenkelmuskeln und erhob sich gemächlich. Er ruderte mit den Armen und lief ein paar Minuten lang auf der Stelle, um seinen Blutkreislauf zu beleben. Dann bewegte er sich vorsichtig durch das Unterholz, bis er den Pfad wiederfand. Langsam lief er auf die Straße zu. Überall lag wie grobes Konfetti das geschredderte Laub verstreut, als wäre ein heftiger Sturm vorbeigezogen, doch weit und breit keine Leiche. Die Toten waren alle abtransportiert. Die Straßendecke war mit Einschlägen übersät und zum Teil aufgerissen, und dort, wo die ersten Salven die beiden Soldaten getroffen hatten, trockneten zwei Blutpfützen, von Fliegen umschwirrt.
Bond sah sich halbherzig nach beiden Straßenseiten um. Er rechnete nicht damit, Blessing zu finden, oder auch nur eine Spur von ihr. Auf dem Boden glänzten unzählige Patronenhülsen aus Messing, und er klaubte eine blutbefleckte Schachtel auf, die noch einen Rest Munition enthielt. Davon abgesehen gab es kaum Anzeichen für das Feuergefecht und dessen Opfer.
Während er so mitten auf der Straße stand, spürte er die Hitze der aufgehenden Sonne. Was sollte er nur tun? Wo sollte er hin? Er wandte sich nach Norden – von dort hatte die Armee geschossen. Wenn er in diese Richtung ging, müsste er doch zwangsläufig ihren vorrückenden Kolonnen begegnen … Bond trat gegen die losen Asphaltstückchen und zwang sich, über Alternativen nachzudenken. Nach allem, was er gerade durchgemacht hatte, könnte er seine Mission ohne weiteres abbrechen. M würde das sicher verstehen. Aber es gab da noch etwas zu erledigen, außerdem hatte er wegen Blessing vage Schuldgefühle. Wenn er sie nur fester gepackt, sogar bewusstlos geschlagen hätte … War sie tot? War sie sicher in der Obhut der Zanza-Armee? Möglicherweise war sie auch wieder Kobus und seinen Männern in die Hände gefallen.
Bond sah sich erneut um. Kobus wollte diese Straße überqueren, um den Waldpfad weiter zu beschreiten. Vielleicht war das der beste Ausweg … er hatte weder Proviant noch Wasser noch eine Waffe. Falls er etwas zu trinken oder zu essen fände, könnte er mindestens ein paar Tage durchhalten. Kobus hatte genau gewusst, wohin dieser Pfad führte und warum man ihm folgen sollte. Und so entschied sich Bond für diesen Weg: Er ging über die Straße in den Wald.
Nach etwa zwei Stunden legte er eine Pause ein. Es war heiß und feucht, er war von Myriaden Insekten gestochen worden,
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