Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
sich in den USA aufhielt. Die Überwachung allein war allerdings nicht zielführend – ein Katalysator musste her, und zwar einer, den er selbst kontrollierte. Kein Kobus Breed, der ohne Vorwarnung in den Räumlichkeiten von Africa KIN auftauchte. Il faut pisser sur les fourmis , dachte er und grinste, als er sich diesen derben Spruch seines alten Freundes René Mathis vom Deuxième Bureau wieder in Erinnerung rief. Ja, pisser sur les fourmis , auf dass die Ameisen panisch umherrannten.
Er überquerte die Straße und ging in das Restaurant. Mit einem Blick erfasste er den Raum: ein heller, luftiger Saal, der in verschiedenen Blautönen gehalten war und dessen Wände von einer Fülle nautischer Symbole verschönert wurden – Signalflaggen, ein Rettungsring, ein Steuerrad, Korkgürtel und Fischernetze. Er meinte, Blessing flüchtig in der hinteren Ecke erspäht zu haben, sah sich aber kein zweites Mal nach ihr um. Stattdessen ging er lächelnd auf die junge Frau zu, die am Speisesaaleingang neben dem Pult stand, und ließ sich für den Abend einen Tisch reservieren. Danach nahm er eine Visitenkarte und verließ das Restaurant. Er war sich fast hundertprozentig sicher, dass Blessing ihn gesehen hatte, als er sich mit der jungen Frau am Tisch des Oberkellners unterhielt. Ob er falsch- oder richtiglag, würde sich ohnehin binnen kürzester Zeit herausstellen.
Bond lief ein paar Meter die Straße hoch und winkte ein Taxi heran.
»Warten Sie erst mal hier«, sagte er zu dem Fahrer und drückte ihm einen Zehn-Dollar-Schein in die Hand. Dann nahm er geduckt auf dem Rücksitz Platz, den Blick unentwegt auf die Restauranttür gerichtet. Und tatsächlich, etwa anderthalb Minuten später hastete Blessing sichtlich beunruhigt hinaus, sah sich nach allen Seiten um und musterte die Passanten. Bond lächelte in sich hinein – die Ameisen waren in Aufruhr. Blessing hielt das erstbeste Taxi an und stieg ein.
»Folgen Sie diesem Taxi«, sagte Bond. »Ich lege noch zwanzig Dollar drauf, wenn wir unbemerkt bleiben.«
»Kein Problem«, sagte der Fahrer. Er klang mexikanisch und hatte einen hängenden Banditenschnurrbart. »Das Ihr Mädchen?«
»Ja – hinterhältiges Luder.«
»Mann, Sie nicht wissen wollen, was las chicas mir angetan«, sagte der Fahrer und setzte prompt zu einer langen Anekdote über seine Exfrau an, voller schmutziger Details und anstößiger Beleidigungen.
Bond ließ ihn reden und behielt Blessings Taxi im Auge. Er fragte sich, was sie wohl dachte, wie stark sein Erscheinen sie verblüfft und schockiert haben mochte. Zu sehen, wie der Totgeglaubte plötzlich ein Washingtoner Restaurant betrat … Nach dem ersten lähmenden Schreck dürfte sie sich schnell wieder gefangen und dann hektisch Mutmaßungen angestellt haben. Sicher hatte sie gleich geahnt, dass das kein Zufall war und er von ihr gesehen werden wollte. Aber warum? Darüber würde sie sich den Kopf zerbrechen. Und sich ins gefährliche Labyrinth der reinen Spekulation begeben. Da gab es diesen Mann, den sie in Afrika erschossen hatte – und plötzlich spürte er sie in Washington, D.C., auf. Bond musste erneut lächeln: Bei Blessing dürften nun hundert Alarmglocken schrillen. Befriedigt lehnte er sich zurück. Seine Mission hatte durchaus erfreuliche Aspekte.
Blessings Taxi fuhr nach Georgetown und hielt vor einem hübschen kleinen Schindelhaus in der O Street.
»Fahren Sie weiter«, sagte Bond. Durch die Heckscheibe sah er Blessing ins Haus rennen, ohne ihren Fahrer zu bezahlen, sie ließ das Taxi mit laufendem Motor warten. Nach fünfzig Metern sagte Bond seinem Fahrer, er sollte vorerst parken.
»Wir sind eine Menge Zonen durchgefahren, Mister«, sagte der Fahrer. Bond hatte ganz vergessen, wie obskur die Regeln der Fahrpreisermittlung in Washington, D.C., waren.
»Keine Sorge. Ich werde Sie anständig bezahlen. Machen Sie sich für alle Fälle zum Wenden bereit«, sagte Bond und gab dem Mann noch einen Zwanzig-Dollar-Schein.
»Hey, ich Sie gern fahren den ganzen Tag, jeden Tag, Mister.« Der Fahrer drehte sich um und grinste ihn breit an. »Für Sie arbeiten, ist Vergnügen.«
Fünf Minuten später kam Blessing mit einem Koffer wieder heraus. Sie schloss die Haustür ab und stieg hastig ins Taxi ein, das kurz darauf an Bonds Taxi vorbeifuhr.
»Sie dürfen sich auf keinen Fall abhängen lassen«, sagte Bond.
»Darauf Sie sich verlassen können.«
Blessings Taxi fuhr in Richtung Westen stadtauswärts und überquerte den Potomac auf der
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