Solo
zu erteilen, und bald stellte sich heraus, daß
hier ein überdurchschnittliches, ja, einmaliges Talent heranwuchs.
Erst im Jahr 1948 konnte Georges
Vater, Dimitri Mikali, seine nächste Reise nach Amerika
unternehmen, und was er dort vorfand, erstaunte ihn über alle
Maßen: einen sechsjährigen amerikanischen Enkel, der
fließend griechisch mit kretischem Akzent sprach und wie ein
Engel Klavier spielte.
Er nahm den Jungen liebevoll auf seine Knie,
küßte ihn und sagte zu Agnes Fuller: «Die dort
drüben auf dem Friedhof in Hydra werden sich in ihren Gräbern
umdrehen, die alten Seefahrer. Zuerst ich – ein Philosoph. Und
jetzt ein Pianist. Ein Pianist mit kretischem Akzent. Ein solches
Talent ist eine Gottesgabe. Es muß gefördert werden. Ich
habe im Krieg viel verloren, aber ich bin noch immer reich genug, um
dafür sorgen zu können, daß er alles bekommt, was er
braucht. Zunächst soll er hier bei Ihnen bleiben. Später,
wenn er ein bißchen älter ist, werden wir sehen.»
Von nun an erhielt der Junge die
beste Ausbildung, die besten Mus iklehrer. Als er vierzehn war,
verkaufte Agnes Fuller das Haus und zog mit Katina nach New York, wo er
sein Studium auf höchstem Niveau fortsetzen konnte.
Kurz vor seinem siebzehnten
Geburtstag erlitt Agnes Fuller eines Sonntagabends einen Herzanfall.
Sie war tot, ehe der Krankenwagen im Hospital eintraf.
Dimitri Mikali war inzwischen
ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität von
Athen. Im Lauf der Jahre hatte sein Enkel ihn mehrmals in den Ferien
besucht, und sie waren einander nähergekommen. Dimitri flog bei
Erhalt der Trauernachricht sofort nach New York, und was er dort sah,
schockierte ihn.
Katina öffnete ihm die Tür
und legte einen Finger auf die Lippen. «Heute vormittag haben wir
sie begraben. Es hieß, man könne nicht länger
warten.»
«Wo ist er?» fragte der Professor.
«Hören Sie ihn denn nicht?»
Die Klänge des Klaviers drangen
schwach durch die geschlossene Türe des Salons. «Wie nimmt
er es?»
«Wie ein Stein», sagte
sie. «Alles Leben hat ihn verlassen. Er hat sie geliebt»,
fügte sie schlicht hinzu.
Als der Professor die Tür öffnete, sah er seinen Enkel im
dunklen Anzug am Klavier sitzen und eine seltsam
geisterhafte Melodie spielen, wie Blätterraunen in einem
nächtlichen Wald. Aus irgendeinem Grund wurde Dimitri Mikali von
unbegreiflicher Beklommenheit erfaßt.
«John?» Er legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und fragte auf Griechisch: «Was spielst du da?»
« Le Pastour von
Gabriel Grovlez. Es war ihr Lieblingsstück.» Der Junge
wandte sich um und blickte ihn an, seine Augen waren wie schwarze
Löcher in dem bleichen Gesicht.
«Wollt ihr mit mir nach Athen
kommen?» fragte der Professor. «Du und Katina. Eine Weile
bei mir bleiben? Bis ihr drüber weg seid?»
«Ja», sagte John Mikali. «Ich glaube schon.»
Eine Weile gefiel es ihm in
Griechenland. Das Leben in Athen, dieser lärmenden,
fröhlichen Stadt, die Tag und Nacht ohne Pause auf den Beinen zu
sein schien. Die geräumige Wohnung in der eleganten Gegend um den
königlichen Palast, wo der Großvater fast allabendlich
Gäste empfing. Schriftsteller kamen, Künstler, Musiker. Und
vor allem Politiker, denn der Professor war Anhänger der
Demokratischen Front und größter Geldgeber der
Parteizeitung.
Und dann Hydra, wo sie zwei
Häuser hatten; eines in dem Gewirr der Gäßchen hinter
dem kleinen Hafen, das andere auf einer entlegenen Halbinsel an der
Küste jenseits von Molos. Dort hielt der Junge sich immer wieder
für längere Zeit auf. Katina sorgte für ihn, und der
Großvater hatte unter beträchtlichen Kosten einen
Konzertflügel hinüberschaffen lassen. Doch wie Katina am
Telefon zu vermelden wußte, wurde niemals daraufgespielt.
Schließlich kam John Mikali
nach Athen zurück, lehnte bei Parties an der Wand, immer
aufmerksam, immer höflich, äußerst attraktiv mit seinem
schwarzen lockigen Haar, dem blassen Gesicht, den Augen wie dunkles
Glas, völlig ausdruckslos. Und niemals sah man ihn lächeln,
was die Damen ungeheuer interessant fanden.
Als ihn eines Abends jemand bat, etwas zu spielen, hatte der Junge sich zum Erstaunen seines Großvaters ohne
Zögernd ans Klavier ge setzt und Bachs Präludium und Fuge Es-Dur vorgetragen, so kristallklar und von eiskalter Brillanz, daß die Zuhörer in gebanntem Schweigen verharrten.
Später, nachdem der Applaus
verklungen und
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