Temptation: Weil du mich verführst
KAPITEL 1
Francesca wandte sich um, als Ian Noble den Raum betrat – hauptsächlich, weil sämtliche anderen Köpfe in dem luxuriösen Restaurant herumfuhren. Beim Anblick des großen, schlanken Mannes in einem gut sitzenden, maßgeschneiderten Anzug, der seinen Mantel auszog, beschleunigte sich ihr Herzschlag. Sie erkannte Ian Noble auf Anhieb. Ihr Blick blieb an dem eleganten schwarzen Mantel über seinem Arm hängen – dem Anlass angemessen, ganz im Gegensatz zu seinem Anzug , dachte sie. Eigentlich war dieser Mann doch wie geschaffen für Jeans, oder? Was für eine idiotische Vorstellung. Erstens sah er einfach umwerfend in seinem Anzug aus, zweitens sorgte er laut einem kürzlich erschienen GQ -Artikel nahezu im Alleingang dafür, dass die Geschäfte in Londons Savile Row auf Hochtouren liefen. Was sollte ein Geschäftsmann und Angehöriger einer niedrigen britischen Adelsfamilie auch sonst tragen? Einer der Männer in seiner Begleitung machte Anstalten, ihm den Mantel abzunehmen, doch er schüttelte den Kopf.
Offenbar hatte der geheimnisvolle Mr Noble die Absicht, lediglich kurz sein Gesicht auf der Cocktailparty zu zeigen, die er zu Francescas Ehren gab.
»Da ist Mr Noble. Er freut sich schon sehr darauf, Sie kennenzulernen. Er ist ein großer Bewunderer Ihrer Arbeit«, verkündete Lin Soong. Francesca hörte den Anflug von Stolz in ihrer Stimme, als wäre Ian Noble nicht ihr Boss, sondern der Mann an ihrer Seite.
»Sieht so aus, als hätte er Wichtigeres zu tun, als mich kennenzulernen«, gab Francesca lächelnd zurück, nippte an ihrem Mineralwasser und sah Ian Noble zu, wie dieser mit dem Handy am Ohr am anderen Ende des Raums stand und knappe Anweisungen erteilte. Seine leicht nach unten gezogenen Mundwinkel verrieten, dass er sich über irgendetwas ärgerte. Aus irgendeinem Grund spürte Francesca, wie sie sich angesichts dieser allzu menschlichen Regung ein wenig entspannte. Sie hatte ihren Mitbewohnern verschwiegen – bei ihnen genoss sie den Ruf, sich von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen zu lassen –, dass sie die Aussicht, Ian Noble persönlich kennenzulernen, merkwürdigerweise ziemlich nervös machte.
Die Gäste wandten sich wieder ihren Gesprächen zu, dennoch schien sich mit Nobles Auftauchen die Atmosphäre im Restaurant verändert zu haben. Schon seltsam, dass ein so eleganter, weltgewandter Mann in der technikverrückten Jeans-und-T-Shirt-Generation als Ikone galt. Noble musste um die dreißig sein. Sie hatte irgendwo gelesen, er habe vor Jahren mit seinem bahnbrechenden Social-Media-Unternehmen seine erste Milliarde gemacht; dessen Börsengang hatte ihm weitere dreizehn Milliarden eingebracht, ehe er unverzüglich das nächste Unternehmen, einen nicht minder erfolgreichen Internetversand, aus dem Boden gestampft hatte.
Es sah ganz so aus, als würde alles zu Gold, was Ian Noble anfasste. Aber wieso nur? Ganz einfach: weil er Ian Noble war. Er konnte praktisch alles tun, was ihm gerade in den Sinn kam. Francesca musste ein Grinsen unterdrücken. Ja, es half definitiv, sich ihn als arroganten und unsympathischen Wichtigtuer vorzustellen. Na schön, er war ihr Mäzen, aber ebenso wie alle anderen Künstler im Verlauf der Jahrhunderte hegte auch Francesca ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber demjenigen, der das nötige Kleingeld springen ließ, damit sie ihrer Tätigkeit nachgehen konnte. Leider war so gut wie jeder Künstler auf seinen persönlichen Ian Noble angewiesen.
»Ich gehe nur kurz rüber und sage ihm, dass Sie hier sind. Wie gesagt, er war sehr angetan von Ihrem Gemälde und hat es ohne mit der Wimper zu zucken den beiden anderen Finalisten vorgezogen.« Lin sprach von der Ausschreibung, die Francesca für sich entschieden hatte. Infolgedessen durfte sie das Gemälde im feudalen Eingangsbereich von Nobles neu erbautem Wolkenkratzer in Chicago malen, ein höchst lukrativer und sehr begehrter Auftrag. Der Cocktailempfang zu Francescas Ehren fand im Fusion statt, einem der angesagtesten Nobelrestaurants, das ebenfalls im Noble Enterprises Building untergebracht war. Und was noch viel wichtiger war: Francesca würde hunderttausend Dollar bekommen, was für eine Kunststudentin, die jeden Tag ums nackte Überleben kämpfte, ein wahrer Segen war.
Ehe Lin verschwand, stellte sie ihr eine junge Afroamerikanerin namens Zoe Charon vor, die Francesca solange Gesellschaft leisten sollte.
»Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.« Zoe verzog den Mund zu einem strahlenden
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