Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
wiederkehren wird. Aber bei Harmon Smith weiß ich, dass er wieder da ist.«
»Glaubst du etwa, dass er – oder was auch immer es ist – die Everharts getötet hat?«, wollte Sue wissen.
»Keine Ahnung.« Odus strich sich über seinen Bart, pulte irgendwas aus den verstrubbelten Haaren und untersuchte es. »Vielleicht will er die Dinge wieder geraderücken. Zumindest aus seiner Sicht. Die Everharts sind nicht aus Solom. Oder es hat irgendwas mit den Ziegen zu tun.«
Lillian nahm die Styroportasse von den Lippen. Der weiße Rand war angeknabbert. Man sah genau den Abdruck ihrer Zähne, wo sie in den Kunstschaum gebissen hatte. »Nun«, sagte sie, »selbst wenn es stimmt, was ihr hier erzählt, und wir einen rachsüchtigen Prediger unter uns haben, was in aller Welt sollten wir dann dagegen unternehmen?«
»Genau deshalb haben wir uns heute hier zusammengefunden«, antwortete Odus. »Hat jemand eine Idee?« Er schaute sich um.
Sarah schüttelte den Kopf. Sie würde sich ganz bestimmt nicht in diese Sache hineinziehen lassen. Wen juckte es, wenn ab und zu mal eine Ziege durch ihren Gang wanderte und immer mal ein Fremder mit schwarzem Hut hier vorbeischaute? Solange sich in ihrem Alltag nichts veränderte und der Wanderprediger ihr nicht die besten Kunden wegschnappte, sollten doch alle leben und leben lassen. Falls man so etwas von Toten überhaupt verlangen konnte.
»Mit Knoblauch und Kruzifix kommt man hier nicht weiter, oder?«, fragte Sue. »Jedenfalls hat noch niemand irgendwas in diese Richtung erzählt. Ich hätte ja fast schon lieber mit einem Vampir oder einem Werwolf zu tun, wo man die allgemeinen Spielregeln kennt.«
»Sie sind doch der Herr des Glaubens«, wandte sich Odus an David. »Was halten Sie davon?«
»Harmon Smith schien sich den keltischen Bräuchen der Ernteopfergaben verschrieben zu haben«, meinte David. »Gordon weiß darüber wahrscheinlich viel mehr als wir alle zusammen. Schließlich unterrichtet er das am College.«
»Du arbeitest doch für ihn«, sagte Ray zu Odus. »Ist dir bei den Smiths vielleicht irgendwas aufgefallen?«
»Er war ziemlich sauer wegen seiner Vogelscheuche«, erzählte Odus. »Hat komisches Zeug in seinen Bart gemurmelt und sich dann wieder um seine Ziegen gekümmert.«
»Jede religiöse Figur braucht eine Gefolgschaft«, sagte Lillian. »Ohne seine Moonies wäre Sun Myung Moon auch nichts weiter als ein ganz normaler Geschäftsmann gewesen.«
»Moon was für Zeug?«, fragte Ray.
»Der Leiter der Vereinigungskirche«, erklärte sie. »Er hatte eine Kirche in Washington, D.C., und war Besitzer zahlloser Immobilien und internationaler Zeitungen. Verschwörungstheoretiker glauben, dass Moon unseren Politikern ins Ohr flüsterte, während er ihnen heimlich Geld in die Hosentasche schob. Manche behaupten sogar, dass er mit dem Präsidenten unter einer Decke steckte.«
»Jetzt mach mal den alten George Bush nicht schlecht«, entgegnete Ray. »Das Schlimmste, was Solom je passiert ist, ist, dass wir die Demokraten rangelassen haben. Wäre Clinton Jude, dann wäre er der Antichrist.«
Sarah ließ sich von diesem kleinen Wortgefecht nicht aus der Ruhe bringen, vermerkte es jedoch auf ihrem geistigen Notizzettel. Bevor ihr Vater nach Solom gekommen war, hatte er seinen Familiennamen von Jaffe zu Jeffers ändern lassen. Sie hatte es nie an die große Glocke gehängt, dass sie Jüdin war, auch wenn sie die einzige im ganzen Tal war. Allerdings hatten so viele Sommergäste hier neue Häuser gebaut, dass da ganz bestimmt ein paar Juden darunter waren. Aber sie hatte es eh nicht so mit der Religion, und sie verkaufte einen Haufen Spittel in ihrem Laden mit Bibelversen oder Bildern von einem schneeweißen Jesus.
Alles, was sie über die Moonies wusste, hatte sie aus dem Guinness-Buch der Rekorde, denn die Moonies hielten den Rekord für die meisten Eheschließungen zur gleichen Zeit. Es waren mehrere tausend Leute gewesen, die meisten davon waren sich völlig fremd. Die Chance einer Scheidung war wahrscheinlich trotzdem nicht höher, als wenn man glaubte, sich zu lieben. Auch sie war in ihrem Leben ein paar Mal verliebt gewesen, und ein paar Mal ziemlich kurz davor, aber das Ende vom Lied war immer dasselbe gewesen.
»Vielleicht haben die Ziegen irgendwas mit Fruchtbarkeit und guter Ernte zu tun«, sinnierte David. »Je mehr man opfert, umso stärker vermehren sie sich. Die Opfergaben im Alten Testament hatten alle zum Ziel, Gott gnädig zu stimmen. In den meisten
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