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Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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anderen Religionen ist es genauso – manche Gläubige zünden Kerzen an, andere nehmen das Abendmahl zu sich, rasieren sich die Köpfe oder bieten anderen etwas zu essen an.«
    »Also ich weiß nur eins: dass Ziegenböcke es nicht leiden können, wenn man vorhat, sie zu kastrieren«, warf Lillian ein und hielt ihre verletzte Hand hoch.
    »Moment mal, Leute«, bemerkte Sue. »Ich kann mir ja vorstellen, dass es den Wanderprediger wirklich gab. Schließlich steckt in jeder Sage ein Körnchen Wahrheit. Und ich nehme euch sogar ab, dass die Ziegen bösartig sind. Mit ihren gruseligen Augen und den gespaltenen Hufen liegt das schon nahe. Und nehmen wir mal an, ›die Stunde ist schließlich gekommen‹, wie es in dem Gedicht von Yeats so schön heißt, und Solom ist unser hinterwäldlerisches Bethlehem. Irgendwo muss der Kampf um Armageddon ja beginnen. Die Frage ist nur: Was können wir dagegen tun?«
    Alle schauten sich ratlos an. Nur Lillian blickte stumm auf den Boden ihres Bechers, als ob sie die Antwort im Kaffeesatz lesen könnte. »Ich würde mal sagen, wir müssen uns etwas einfallen lassen, wie wir mit dem Wanderprediger fertig werden«, meinte Odus. »Wir müssen herausfinden, was er will, dann muss er das bekommen und dann wird er wieder verschwinden.«
    »Und was, wenn er will, dass wir alle dahinvegetieren wie hungernde Hunde auf einem quälenden Höllentrip?«, fragte Ray.
    »Rache«, sagte David. »Er wird die Einwohner von Solom für seinen Tod verantwortlich machen, und dafür, dass sein Geist nicht in Frieden ruhen kann.«
    »Vielleicht sucht er ja sein Pferd«, meinte Lillian.
    »Also ich glaube ja Folgendes«, erklärte Odus, »und ich kann es ihm nicht mal übelnehmen, weil ich irgendwie dasselbe denke – und ich lebe erst seit achtunddreißig Jahren hier und nicht schon seit zweihundert – also ich glaube, dass er hergekommen ist, um reinen Tisch zu machen. Wenn er wirklich die ganze Zeit hier umgegangen ist, dann hat er ganz bestimmt die Schnauze voll von all den Flachländern, die hierherkommen und unsere Berggipfel zupflastern, unser Tal mit ihren Geländewagen und Country-Festivals belagern und ihre Scheiße in unseren Fluss leiten. Ich wette, er hat einfach nur Heimweh. Und weil Gott ihm allem Anschein nach den Zutritt zum Himmelreich verweigert und in der Hölle offensichtlich auch nichts frei ist, ist der alte Harmon hier hängengeblieben und betrachtet Solom als ein Haus, das dringend renovierungsbedürftig ist.«
    »Und deshalb bringt er Touristen um?«, fragte Sue.
    »Na ja, erst hat er ja viele Jahre lang welche von uns umgebracht«, merkte Odus an. »Vielleicht hat er jetzt beschlossen, dass das alles ein bisschen schneller gehen muss, wegen dem ganzen Wachstum und so. Also hat er es auch auf die anderen abgesehen. Wahrscheinlich will er Solom auf die Handvoll Familien zurücktrimmen, die zu seinen Zeiten schon hier gewohnt haben.«
    »Das Problem ist nur, dass er genauso ein Zugezogener ist wie alle anderen von uns auch«, warf David Tester ein. »Man kann die Uhr nicht zurückdrehen.«
    »Man kann eigentlich auch nicht von den Toten wiederkehren.«
    Sarah fühlte sich plötzlich ganz einsam zwischen all diesen Menschen. Sie stellte sich vor, wie der mächtige Druck der Nacht auf ihrem kleinen Laden lastete. Zwar bullerte der Ofen lustig vor sich hin, doch in ihren alten Knochen spürte sie plötzlich eine grausame Kälte. Die Dunkelheit stand vor dem Fenster, und auch das fahle Verandalicht konnte die Angst nicht vertreiben. Schwarz war eine Mischung aus allen Farben, sagte man. Wenn alles ineinanderblutete, blieb nur noch Schwarz übrig. Der Zustand ohne Licht. Und so wie es aussah, würde das Bluten noch lange anhalten.
    Vom vorderen Teil des Ladens klang ein Klappern herüber. Es kam von der Kasse. Sarah hatte das Licht ausgeschaltet, wie immer zu Ladenschluss, so dass die Zimmerecken im Dunkeln lagen.
    »Wer ist da?«, fragte sie. Es konnte nicht sein, dass jemand hereingekommen war, ohne dass sie es gehört hatte. Aber irgendwie schien auch die Ziege durch die Wände gekommen zu sein. Und ein Mann, der Gewalt über die Ziegen hatte und sich dem Grab widersetzte, würde wahrscheinlich kaum den Anstand besitzen anzuklopfen. Außerdem hatte er ihr schon einmal einen Besuch abgestattet.
    Der Wanderprediger trat aus dem Schatten hervor. In der Hand hielt er eine Packung Kautabak. Langsam wickelte er die Folie ab und schob sich ein feuchtes Stück Tabak in den Mund. Alle starrten ihn

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