Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
bereit.
31. KAPITEL
Mose Eldreth schaltete das Licht in der Kirche ein. Er wollte seine Zimmermannsarbeiten noch vor dem morgigen Gottesdienst zu Ende bringen. Das Holz, das er eingebaut hatte, musste noch gebeizt und versiegelt werden, aber er wollte ja nicht, dass die Gemeinde von den giftigen Dämpfen in Ohnmacht fiel. Wenn den Leuten schon schwindelig wurde, dann sollte es doch bitteschön von der Predigt sein. Er hatte eine gute Predigt vorbereitet, auf Grundlage der Offenbarung des Johannes. Die Rückkehr von Harmon Smith war ihm eine gute Inspiration gewesen.
Er hatte keine Angst, nachts allein in der Kirche zu sein. Schließlich war ein Gotteshaus der beste Zufluchtsort, den man sich nur wünschen konnte. Selbst in unsicheren Zeiten. Oder gerade in unsicheren Zeiten. Die Kirche der Free Will Baptisten in Solom hatte einen Teil des Vermächtnisses des Wanderpredigers abbekommen, und zwar in Form eines der drei Gräber des Predigers. Mose wusste nicht, welchem Schicksal der Wanderprediger anheimgefallen war, doch man erzählte sich, dass sich Prediger aus drei verschiedenen Kirchgemeinden zusammengetan hätten, um dem alten Harmon draußen im Wald den Garaus zu machen. So wie Brutus und seine Mannen, die sich gegen Julius Cäsar verbündet hatten. Schon in der Bibel steht: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Selbst wenn es bedeutet, dass dem Kaiser ein Messer in die Rippen gestoßen wird.
Odus hatte versucht, Mose zu einer Zusammenkunft mit einer Handvoll anderer Leute zu überreden. Sie wollten sich im Gemischtwarenladen treffen. Aber Mose sah keinen Sinn darin. Vor allem, nachdem er erfahren hatte, dass auch die beiden Tester-Brüder dort sein würden. Mit seinem Primitiven Baptistenglauben schickte David Tester gute zwei Dutzend Leute in die Hölle, weil sie sich weigerten, auf die Knie zu gehen und das zu tun, was man tun musste, um sich die Erlösung zu verdienen.
Nun ja, sie knieten zwar nieder und wuschen einander die Füße. Dann dachten sie, dass sie rein und voller Demut seien, aber sie glaubten, es läge in Gottes Hand zu entscheiden, wer vor dem Fegefeuer erlöst würde. In ihren Augen waren alle Menschen ohne Hoffnung. Die abscheulichste Sache überhaupt. Zumindest wusste die Gemeinde vom True Light Gotteshaus, so schmierig sie auch war mit ihrer neumodischen Gute-Nachricht-Bibel und der Elektroorgel, dass es nur einen Weg zu Gottes Herrlichkeit gab. Und dieser Pfad war schmal und eng das Tor.
Mose streckte seinen Rücken. Nachdem Odus gegangen war, hatte Mose noch einmal zehn Meter Sockelleisten verlegt. Er hatte ein bisschen Rheuma, aber er beklagte sich nicht. Nicht im Haus desjenigen, der die schlimmsten Qualen am Kreuz durchleben musste. Später dann, in seinem eigenen Bett, konnte er sich näher mit den Beschwerden der Sterblichen befassen. Jetzt stand er im Dienst der Kirche, und sein Hammer war ein Werkzeug Gottes.
Die letzten beiden Nägel schlug er in ein Eckstück. Die Hammerschläge hallten in den Balken wider. Mose ging in die Sakristei, um Schaufel und Besen zu holen. Es konnte ja nicht angehen, dass die Gemeinde überall von Sägespänen heimgesucht wurde, oder dass die Gottesdienstbesucher immerfort niesen mussten. Gerade, als er wieder aus der Sakristei herauskam, flog mit lautem Knall die Vordertür auf. Ein Windhauch verwirbelte die Späne, die Luft roch nach Holz und nächtlichem Wald.
»Odus?« Vielleicht hatte Odus ja irgendetwas vergessen, oder er wollte nachschauen, ob Mose noch Hilfe gebrauchen konnte. Wahrscheinlicher war, dass er ihm von dem Treffen berichten wollte. Mose wollte gar nicht wissen, was die Leute dachten. An den Wanderprediger kam sowieso niemand heran. Es gab einen Grund, warum er existierte. So wie bei allem, was Gott geschaffen hatte.
Draußen bewegte sich etwas. Auf dem kleinen Friedhof waren leise Geräusche zu hören. Mose lehnte den Besen an die Kanzel und nahm den Hammer in die Hand. Das Gewicht des schweren Eisens beruhigte ihn. Er hatte nicht direkt Angst vor Harmon Smith, doch der Herr half denen, die sich selbst halfen.
Der Prediger ging den Gang entlang, langsam wie ein unentschlossener Bräutigam. Diese Angst würde er morgen gleich in seine Predigt einbauen. So konnte er die Furcht schüren und das Bild eines ewigen Feuersees heraufbeschwören, in dem jene, die Gott nicht als Erlöser erkannten, für immer und ewig schmoren mussten. Ja, Angst war wichtig, doch ebenso wichtig war auch der Mut. Das »Tal des
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