Solomord
nickte.
»War das so ’n Perverser?«
Er erschrak über die Ausdrucksweise seiner Tochter und blickte sie fragend an.
»Hab gehört, wie Frau Lutz das heute auf dem Flur zum Rektor gesagt hat. Morgen in der ersten Stunde reden wir darüber.«
Brandt atmete auf. Die Schule seiner Tochter reagierte schnell. Das war gut. Er hatte selbst schon daran gedacht, einige Kollegen rauszuschicken, um die Lehrer und Schüler zu sensibilisieren. Man konnte nicht genug Aufklärung betreiben. Er nahm sich vor, Lore am nächsten Morgen zur Schule zu begleiten und mit der Lehrerin zu reden.
»Kann ich aufstehen?« Ohne seine Antwort abzuwarten, erhob sie sich und verließ die Küche. Er aß die restlichen Spiegeleier direkt aus der Pfanne und ließ dabei den Tag Revue passieren. Die Pressekonferenz, die Befragung der Lehrerin und Ann-Katrins, der Besuch bei Michelles Mutter. Vor all die Bilder dieses Tages schob sich jedoch immer wieder das Gesicht einer Zehnjährigen, die ihn flehend anschaute. ›Hilf mir‹, schien es zu schreien. Schnell stand er auf und räumte das Geschirr in die Spülmaschine.
Der Raum war karg und lieblos eingerichtet. Teichert saß an einem der Besuchertische und trommelte nervös mit den Fingern auf die Holzplatte. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. Nur kurz hatte er die Akte von Michelle Roeders Vater überflogen.
Die Tür wurde geöffnet und ein kleiner, untersetzter Mann betrat den Raum. Er war in Begleitung eines Vollzugsbeamten. Erschrocken fuhr Teichert auf, dabei kippte sein Stuhl durch die Wucht seines plötzlichen Aufsprungs mit einem lauten Knall auf den Boden. Herr Roeder grinste hämisch, während er auf den Tisch zukam.
»Herr Teichert, was verschafft mir die Ehre?«
Er bezweifelte, dass der Häftling noch nichts von dem Verschwinden seiner Tochter gehört hatte, und wunderte sich über dessen lockere, ja geradezu provokative Art.
»Herr Roeder, Sie wissen, dass Michelle seit gestern Mittag verschwunden ist?«
Sein Gegenüber nickte.
»Und Sie machen sich keine Sorgen, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte?«
Harald Roeder wirkte teilnahmslos, zuckte nur mit den Schultern. »Seit die Alte mich rausgeworfen hat, geht mich das nichts mehr an.«
»Aber Michelle ist doch Ihre Tochter!« Teichert war beinahe fassungslos, wie wenig den Vater anscheinend das Verschwinden seiner Tochter berührte. Wie konnte ein Mensch nur so gefühlskalt sein?
Die Reaktion des Kommissars amüsierte den Inhaftierten sichtlich. Forsch beugte er sich über den Tisch und grinste dabei erneut.
»Sie haben doch bestimmt meine Akte gelesen, oder? Was haben Sie denn gedacht, was ich für ein Mensch bin, hm? Ich hab Kinderpornos hergestellt, Mädchen aus’m Ostblock zur Prostitution angeboten. Meinen Sie, da kratzt es mich, wenn mein Mädchen zufällig auch mal abgegriffen wird?«
Teichert versuchte, Fassung zu bewahren. In seiner bisherigen Laufbahn bei der Polizei hatte er zwar schon etliche Fälle bearbeitet. Mord, Drogenhandel und auch Kinderprostitution waren dabei gewesen, aber so jemandem wie Herrn Roeder war er noch nie begegnet. Er bereute, ohne seinen Kollegen hierher gekommen zu sein.
»Wann hatten Sie denn das letzte Mal Kontakt zu Michelle?«
Harald Roeder kratzte sich am Kopf, tat, als wenn es schon Jahrzehnte her war. »Ich glaub, so ein, zwei Jahre ist das her.«
»Und seitdem kein Besuch, kein Telefonat oder Brief?«
»Nein.«
»Und Kontakte in Ihre alten Kreise haben Sie auch keine mehr?«
»Was soll das?« Der Befragte sprang auf und schrie, er sitze schließlich ein. Zu wem sollte er da außerhalb dieser Mauern Kontakt haben? Ob er sich überhaupt vorstellen könnte, wie es hier im Knast abginge?
»Nein, das können Sie doch nicht. Sie sitzen doch mit Ihrem feinen Beamtenarsch schön auf Ihrem Ledersessel und verdächtigten lieber Knastis, als den wahren Täter zu suchen.«
Für einen kurzen Augenblick erschien es Teichert, als blitzte da doch so etwas wie Angst und Sorge um die Tochter in den Augen seines Gegenübers auf, doch noch ehe er reagieren konnte, hatte Harald Roeder sich umgedreht und steuerte auf die Tür zu. »Ohne meinen Anwalt sage ich gar nichts mehr, kapiert?«
Als Brandt die Tür zum Zimmer seiner Tochter öffnete, lag Lore schon im Bett und las.
»Lernst du noch?«
»Hm.«
»Soll ich dich abfragen?« Sie nickte. Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante und sie reichte ihm das Vokabelheft.
»Teppich?«
Lore überlegte einen kurzen Augenblick, ehe
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