Solomord
wieder ein wenig entspannte, geisterten die Bilder der blonden Frau durch seine Gedanken. Das machte ihn nervös. Seit Margits Tod hatte er kein Interesse mehr für das andere Geschlecht gehabt. Aber die Zeit heilte wohl tatsächlich alle Wunden, und auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte, empfand er für diese Frau mehr, als ihm eigentlich lieb war. Natürlich waren diese Gefühle nicht mit denen zu seiner verstorbenen Frau zu vergleichen, aber der Gedanke an Tanja Lutz zauberte ein angenehmes Kribbeln in seine Bauchhöhle. Er goss sich noch ein Glas Rotwein ein und überlegte, ob er die Lehrerin demnächst einmal einladen sollte. Vielleicht zu seinem Lieblingsitaliener oder besser ins Kino? Lore würde das sicher nicht gutheißen. Das konnte er in gewisser Weise sogar verstehen. Aber sie brauchte ja nicht unbedingt davon zu erfahren, jedenfalls nicht gleich. Sollte sich da wirklich etwas Festeres entwickeln, was er zwar hoffte, aber kaum zu glauben wagte, war immer noch Zeit, sie mit der Situation zu konfrontieren.
Aber zunächst einmal muss der Fall komplett abgeschlossen sein, dachte er. Allerdings war das für ihn nur noch eine Frage von Tagen. Michael Wagner war für ihn ganz klar der Täter, und sofern diesem bewusst wurde, dass er aus der ganzen Sache nicht ungeschoren herauskam, würde er auch kooperieren, da war Brandt sich ganz sicher.
19
Er musste irgendwann eingeschlafen sein. Das Läuten des Telefons ließ ihn aufschrecken, er rappelte sich aus seiner unbequemen Stellung auf.
»Hauptkommissar Brandt? Entschuldigen Sie die späte Störung, aber es ist etwas Furchtbares passiert. Bitte kommen Sie sofort in die JVA.«
Noch reichlich benommen, taumelte er ins Bad und spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht. Doch der müde und zerknautschte Ausdruck blieb.
Er schrieb Lore einen Zettel, den er wie immer auf dem Küchentisch deponierte, und verließ die Wohnung.
Es begann bereits zu dämmern. Die Luft roch klar und frisch, noch hatten nicht Tausende von Pkws sie durch ihre Abgase schwer und stickig gemacht. Er atmete ein paar Mal tief durch, bevor das bestellte Taxi um die Ecke bog, er einstieg und Richtung Derendorf fuhr.
Die Sicht in Wagners Zelle blieb ihm zunächst verwehrt. Eine Menge Leute standen in der Tür und versperrten Brandt den Blick auf das Geschehen im Inneren des Raumes, das durch ein immenses Stimmengewirr begleitet wurde. Etwas Unfassbares war geschehen und hatte eine allgemeine Aufregung hervorgerufen. Er musste erst laut seine Stimme erheben, ehe man ihm Platz machte und er Einlass in die Zelle erhielt.
Die Vollzugsbeamten hatten Wagner auf das Bett gelegt. Seine weit aufgerissenen Augen starrten gen Zellendecke, an seinem Hals zeichnete sich eine rote Strangfurche ab.
»Wie konnte das passieren?«
Brandt blickte fassungslos auf den leblosen Körper. Michael Wagner hatte sich in einem unbeobachteten Moment mit einem seiner Schnürsenkel an dem Heizkörper unterhalb des kleinen vergitterten Fensters im Sitzen erhängt. Einen Hinweis für den Grund dieses Suizids gab es keinen – Wagner hatte keine Notiz oder Ähnliches hinterlassen –, aber Brandt vermutete, dass Teicherts Beschuldigungen dem Mann so zugesetzt haben mussten, dass er keinen anderen Ausweg als den Freitod mehr gesehen hatte.
Er starrte auf den Leichnam und stöhnte leise auf. Wie sollten sie Marie Priebe nun finden?
Resigniert wandte er sich ab.
Wagner war nach dem Verhör emotional aufgewühlt gewesen. Die erbarmungslosen Anschuldigungen des Kommissars hatten ihm zugesetzt, die Polizei schien ihm trotz aller Vorsicht auf die Schliche gekommen zu sein. Unruhig war er in seiner Zelle auf und ab gelaufen. Was sollte er nun tun?
Seine Familie war tot. Es gab nichts und niemanden mehr für ihn. Außer dieser quälenden Schuld. Und nun, da man seinen Plan einer Wiedergutmachung, die vage Hoffnung, sich seiner Schuldgefühle entledigen zu können, zunichtegemacht hatte, ihn der Mitschuld am Tod der Schwester überführt hatte, wozu sollte er noch leben? Sein Leben war ohnehin nie einfach gewesen. Ein strenger Vater, eine pedantische Mutter. Die schweren Schuldgefühle, die ihn Tag für Tag begleitet und bis in seine Träume verfolgt hatten. Dann die kranke Mutter, die darauf bestanden hatte, dass er sie pflegte. Regelrecht gezwungen hatte sie ihn dazu. Und er hatte nicht widersprechen können. Schließlich war er für ihren Kummer, ihre Trauer über die verlorene Tochter verantwortlich gewesen. Es
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