Some like it heiß
die Orgelspielerin,nicht gespielt hätte, als würde sie Ofenhandschuhe tragen – in der Lautstärke eines Metallica-Konzerts.
»I don’t fucking believe this«, sagte Ralph noch einmal.
Am Abend vorher hatten wir uns
gegen
Livemusik entschieden, und ich wollte auf keinen Fall singen. Der Trauergottesdienst meiner Mutter war keine Show, und egal wie viel Professionalität in mir steckte, ich konnte diesen Gig nicht annehmen. Wegen Trauer und Schlaflosigkeit hätte ich keinen einzigen Ton getroffen, und neun Uhr dreißig morgens ist, ehrlich gesagt, viel zu früh, um aufzutreten.
Wir aßen Sandwiches und weinten und lachten über die aktuelle amerikanische Bestattungs-Top-Ten. Platz eins ist immer noch »My Heart Will Go On« aus dem Film Titanic, was ich völlig grotesk finde. In einem Todesfall ist eines klar: Das Herz geht nicht weiter – wenn doch, ist man nicht tot. Your heart will
not
go on.
Jetzt sollten die irischen Augen meiner Mutter lächeln. Ich verstehe die Metapher und glaube wirklich an die Ewigkeit der Seele, aber in diesem Moment konnte ich nur praktisch denken. »Es reicht!«, dachte ich. Es war ein Schutzreflex.Dank meinem Hormonhaushalt wurde mein Pragmatismus zu einem Rettungsboot.
»She doesn’t have any eyes anymore«, flüsterte ich meinem Bruder zu.
»And they’re not laughing«, sagte Ralph.
Meine Cousine Jane saß in der nächsten Reihe und fing an zu kichern, während sie hinter vorgehaltener Hand »I’m so sorry!« flüsterte. Die ganze Reihe war schnell infiziert, und ein kleines Beben von in Schwarz gekleideten Schultern brach aus. Niemand aus Reihe sechs (die Oulettes and the DiNunnos – unsere Lieblingscousinen) traute sich, uns auch nur kurz in die Augen zu schauen, vor Angst, noch mehr lachen zu müssen. Weil wir alle so intensiv auf den Boden starrten und die gemeinsame Auf-und-ab-Bewegung der Schultern so heftig war, nahm der Priester an, es sei ein Zeichen intensiver Trauer, und wedelte immer heftiger Richtung Reihe sechs, machte mehrere Kreuze in der Luft und sagte mit geübter Betroffenheit: »Peace be with you.«
»She’d love this song«, seufzte Mary Ann, weinend, ihr Gesicht voller Wimperntusche.
Das stimmt. Ma loved that Lied. Geschrieben 1912, gesungen von Bing Crosby bis Roger Whittaker, hat Ma dieses Lied ihr Leben lang begleitet.Sie hat es immer wieder gesungen, gesummt oder gepfiffen – es war ihr theme song, der Soundtrack einer Reise, die sie nur einmal unternahm.
Kurz nach dem Tod meines Vaters ist sie zum ersten und einzigen Mal nach Irland zurückgepilgert – ihrem Traumland, dem Geburtsort ihrer Eltern. Kay Lupien, ihre beste Freundin, und ihr Bruder Tommy O’Halleran hatten eine Gruppenfahrt organisiert, eine Heimreise in ein fremdes Land, das sie nur durch Musik, Familienanekdoten und Hollywood kannten. Grüne Hügel, Kartoffeln und Leprechauns – irische Naturgeister, die Gold am Ende des Regenbogens versprechen –, das waren ihre Bilder im Kopfkino, als sie 1978 mit Aer Lingus über den Atlantik flog.
Meine Mutter war damals fünfundfünfzig Jahre alt, Kay war fünfundsechzig und Tommy O’Halleran fast achtzig, und niemand hatte irgendwann die USA verlassen. Um in Stimmung zu kommen und die Flugangst zu überwinden, trank Tommy schon im Logan-Flughafen in Boston mehrere Jameson Whiskeys, was er ununterbrochen auch auf dem achtstündigen Flug tat. Am nächsten Tag nahmen sie ein Taxi von Dublin nach Cork, um The Blarney Stone zu küssen.
The Blarney Stone ist ein Touristenmagnet, ein Teil des 1441 erbauten Blarney Castle. Der Legende nach wird jeder, der diesen Stein küsst, mit »The Gift of the Gab« gesegnet – er wird wortgewandt und glücklich. Irische Menschen
sind
wortgewandt. James Joyce und William Butler Yeats, Samuel Beckett und Bono brauchten keine Steinküsserei dafür – der Tourismus schon. Jedes Jahr kommen Tausende Amerikaner nach Irland, um den Stein zu knutschen – und das ist gar nicht so leicht.
Man muss Hunderte von Metern eine endlose Treppe emporsteigen, um dann mit Hilfe eines Park-Rangers kopfüber den Stein zu küssen. 2009 nannte Tripadvisor.com den Blarney Stone »the most unhygienic tourist attraction in the world«. Meine Mutter wurde skeptisch. Sie war schon enttäuscht, als es in ihrem Hotel in Dublin keine Cola-Light gab. Tommy O’Halleran blieb bei seinem Jameson, und sein Enthusiasmus war überbordend. Er fühlte sich wie ein Junge, war von
allem
begeistert und wollte nichts auslassen. Er
Weitere Kostenlose Bücher