Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
stolz, sie anzuschauen.
»Lass das, Avery!«, sagte sie leise. »Da wird mir ja ganz anders.«
Ich drehte mich wieder zu den Aufzugtüren herum. Mein Hemdkragen scheuerte, mein Hals pulsierte. Die winzige Wunde verheilte einfach nicht und eiterte ständig. Während wir tiefer und tiefer sanken, musste ich an die gut versteckte Überwachungskamera denken, die in die Decke der Kabine eingelassen war, und überlegte mir, wie genau sie den Raum wohl abdecken mochte. Dabei kam ich zu dem Schluss, dass es hier wahrscheinlich keinen einzigen toten Winkel gab.
Im achtzigsten Stockwerk öffneten sich ruckartig die Türen, und das Interface des Fahrstuhls sagte leise: Achtzigstes Stockwerk, vielen Dank. Achtzigstes Stockwerk, vielen Dank. Die Wespe drängte sich an uns vorbei zur Tür, und mit ihren hellen, klaren Augen -die ein wenig weiter aufgerissen und etwas runder waren, als ich für normal gehalten hätte -schaute sie mich an. Selbst wenn ich in einem teuren Anzug steckte-Synthetikgewebe für vierzigtausend Yen, das entsetzlich juckte –, machte ich Leute aus irgendeinem Grund nervös. Vielleicht lag es an der Wunde an meinem Hals. Oder vielleicht war nur das Blut daran schuld, das immer noch unter meinen Fingernägeln klebte.
Als die Türen sich wieder geschlossen hatten, räusperte sich Glee lautstark und fuhr sich mit einem Ärmel über die Nase. Sie spuckte einen grünen Schleimklumpen auf den Boden der Fahrstuhlkabine und verzog das Gesicht.
»Ich weiß ja nicht, was ich mir da gefangen habe«, murmelte sie, und ihre Stimme klang ein wenig rau. »Aber es nervt tierisch. « Die tiefe Stimme und der Anzug ließen das Mädchen älter wirken, als sie in Wirklichkeit war, und das gefiel mir nicht.
Ich seufzte. »Pass ein bisschen auf, wie du dich benimmst!«, sagte ich. Wir spielten hier eine Rolle, und alle Augen waren auf uns gerichtet.
Glee grinste schwächlich. »Oh-oh. Avery ist irgendetwas peinlich. Nein, Avery ist regelrecht gedemütigt.«
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Gleason erwischte mich doch immer wieder. »Du kannst mich mal, Kleine.«
Wieder fuhr sie sich mit dem Ärmel über die Nase. »Erklärst du mir noch einmal, warum wir das Scheiß-Büro für Abfallentsorgung aufsuchen müssen?«
Erneut öffneten sich die Türen, und wir sahen vor uns einen langen Korridor mit einförmig weißen Wänden. Der Boden war mit dickem grünem Teppich ausgelegt. Zu beiden Seiten fanden sich völlig identisch aussehende Türen; jede davon war mit einem kleinen Plastikschildchen gekennzeichnet. In milchig-weißen Halbkugeln an der Decke waren Kameras untergebracht, die uns auf Schritt und Tritt beobachteten. Uptown konnte man nicht einmal irgendwo hinpissen, ohne dabei überwacht zu werden. Die Luft war völlig geruchlos. An so saubere Luft würde ich mich nie gewöhnen.
»Wir sind hier, Kleine«, sagte ich, während wir aus dem Fahrstuhl traten, »weil es mich brennend interessiert, wer zum Teufel geglaubt hat, er könne mich einfach so von der Straße aufsammeln und irgendeinen Scheiß mit mir anstellen. Und hier habe ich einen guten Mitarbeiter.«
»Ooh, Avery ist wütend. Avery ist stinksauer.« Sie hielt mit mir Schritt, während wir den Flur hinuntermarschierten. Dieser Scheiß mit dem Vornamen hatte vor ein paar Wochen angefangen, und eine Zeit lang hatte ich es einfach zugelassen, weil ich wissen wollte, ob sie bemerkte, dass das ein Privileg war, das ich ihr von mir aus zugestand, oder ob ich ihr früher oder später eine Lektion würde erteilen müssen. »In der Abteilung für Abfallentsorgung?«
Glee kam nicht oft nach Uptown und war es gewohnt, Dinge etwas direkter anzugehen. »Jeder hat doch irgendwelchen Scheiß, den er loswerden muss, Kleine«, sagte ich und blieb vor einer der Türen stehen. »Und früher oder später kommt das auch hier an diesen Türen vorbei.« Die Tür öffnete sich, und ich schob die Kleine vor mir in den dahinter liegenden Raum.
Wir betraten ein kleines Empfangszimmer. Der Teppich schien meine Füße fast verschlucken zu wollen, während sich die Tür hinter uns wieder schloss. Der Droide hinter dem Schreibtisch, der dort natürlich nur stand, um einen gewissen Eindruck zu erwecken, sah annähernd menschlich aus: weiblicher Torso, ovaler Schädel und zwei spindeldürre Arme. Wenn man nah genug herantrat, konnte man erkennen, dass die Maschine fest mit dem Schreibtisch verbunden war und nur als Orientierungshilfe für das Interface des Büros selbst
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