Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
gebräuchliche Art und Weise, das Datum zu schreiben, zuerst der Tag, dann der Monat, dann das Jahr, wäre logischer als die amerikanische. >Vom Kleinsten zum Größtem, hatte er zu seinem Neffen gesagt, als Duane sechs war. >So ist das viel, viel sinnvollere Duane hatte immer zugestimmt. Er hatte den Tagebucheintrag seines Onkels vom 19. März 1957 vor sich.
    Er stellte das Buch zurück und zog das am weitesten links heraus. Das am einfachsten zu erreichen war. Auf der ersten gekrakelten Seite stand 1. 1. 60. Die letzte, unvollendete Seite trug die Überschrift 11. 1. 60. Onkel Art hatte am Sonntagmorgen keinen Eintrag geschrieben, aber am Samstagabend etwas in sein Tagebuch eingetragen.
    »Alles bereit?« Der Alte stand unter der Tür und hielt einen Anzug, der noch in die Plastikfolie der Reinigung gehüllt war, in der einen und Onkel Arts alten Seesack in der anderen Hand. Er kam zum Lichtkreis beim Schreibtisch und nickte zu dem Buch, das Duane instinktiv zugeklappt hatte. »Ist das das Buch, das Art dir bringen wollte?«
    Duane zögerte nur einen Sekundenbruchteil. »Ich glaube ja.«
    »Dann nimm es mit!« Der Alte ging in die Küche.
    Duane machte das Licht aus, dachte an die restlichen persönlichen Aufzeichnungen aus achtzehn Jahren, die in den Bänden unter dem Schreibtisch gesammelt waren, und fragte sich, ob er falsch handelte. Die Tagebücher waren offensichtlich in einem persönlichen Code verfaßt. Wenn er diesen Code knackte, würde er Sachen lesen, die Onkel Art nicht für ihn oder jemand anderen bestimmt gehabt hatte.
    Aber er wollte mir sagen, was er herausgefunden hatte. Er hat sich ganz aufgeregt angehört. Ernst, aber aufgeregt. Und möglicherweise ein wenig ängstlich.
    Duane holte tief Luft und hob das Buch hoch; er spürte die Gegenwart seines Onkels jetzt überall - im Tabakgeruch, im staubigen Aroma der Hunderte und Aberhunderte Bücher, dem Geruch des Einbandleders, selbst im schwachen, angenehmen Schweißgeruch seine Onkels -dem sauberen Schweiß eines arbeitenden Mannes.
    Es war jetzt sehr dunkel in dem Zimmer. Das Gefühl der Gegenwart seines Onkels war ein wenig beunruhigend, als würde der Geist des Mannes hinter Duane stehen, ihn drängen, das Buch zu nehmen, sich zu setzen, das Licht einzuschalten und es zu lesen, solange der Geist hinter ihm stand. Duane rechnete halb mit der kalten Berührung einer Hand im Nacken.
    Duane ging ohne Eile durch die Küche und setzte sich neben seinen Vater in den Lieferwagen.
    Dale und Lawrence hatten den ganzen Tag Ball gespielt, obwohl es bedrohlich bewölkt und schwül gewesen war; vor dem Abendessen waren sie förmlich paniert mit Dreck, der zu Schlamm geworden war, als ihnen der Schweiß in Strömen floß. Ihre Mutter sah sie vom Küchenfenster aus kommen und befahl ihnen, auf der hinteren Treppe stehenzubleiben und sich bis auf die Boxershorts auszuziehen, bevor sie sie hereinließ. Dale bekam den Auftrag, den Kleiderstapel in den hinteren Kellerraum zu tragen, wo die Waschmaschine stand.
    Dale haßte den Keller. Dieser Teil des großen alten Hauses machte ihn nervös. Im Sommer war es prima, weil er dann so gut wie nie hinunter mußte, aber im Winter hatte er die Aufgabe, jeden Abend herunterzukommen und Kohlen in den Eimer zu schaufeln.
    Die Stufen der Kellertreppe waren jeweils mindestens sechzig Zentimeter hoch und für jemanden mit einem übermenschlichen Gang geschaffen. Die massive Betontreppe wand sich nach links und führte zwischen der Außen- und der Küchenwand nach unten, daraus ergab sich, daß der Keller viel weiter unten zu liegen schien, als er eigentlich sollte. Die Kerkertreppe, nannte Lawrence sie.
    Hier unten, wo der Flur zum Heizofen verlief, warf die kahle Glühbirne oben so gut wie kein Licht hin. Hinter dem Ofen befand sich noch eine Birne, aber die mußte man an einer Kordel einschalten, ebenso die im Kohlenkeller. Dale sah im Vorbeigehen nach rechts in die Öffnung zum Kohlenkeller. Es war eigentlich keine Tür, sondern eine eins zwanzig große Öffnung in der Mauer, die zur höhergelegenen Ebene des Kohlenkellers führte. Vom Boden bis zur Decke war der kleine Raum nur einen Meter fünfzig hoch, und Dale wußte, wie schwer es seinem Vater fiel, sich selbst hineinzuzwängen und Kohlen zu schaufeln. Die Schüttgutluke, die jetzt geschlossen war, verlief schräg vom Flur zum Kohlenkeller, so daß man in das klaffende Maul /zmwnferschaufeln mußte. Hinter der Schüttluke befand sich der gigantische Heizofen selbst, der

Weitere Kostenlose Bücher