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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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den ganzen Rest des Korridors einzunehmen schien: eine riesige, schorfige Metallhülle, von der tentakelartig Rohre in alle Richtungen verliefen.
    Was Dale am meisten am Kohlenkeller störte, wenn er an Winterabenden hier schaufeln mußte, war nicht die Arbeit an sich -auch wenn er den ganzen Winter über Schwielen an den Händen hatte -, auch nicht der Kohlenstaub, dessen Geschmack ihm im Rachen blieb, auch wenn er sich die Zähne geputzt hatte; nein; es war der Kriechraum am hinteren Ende des Kohlenkellers.
    Die gegenüberliegende Mauer reichte etwa einen Meter vom Betonboden in die Höhe und endete ein paar Zentimeter unter der Decke, so daß man einen Boden aus Lehm und Steinen, Wasserrohre und eine Andeutung von Spinnweben sehen konnte. Dale wußte, dieser freie Raum erstreckte sich unter einem Großteil des Zimmers, das sein Vater als Büro benützte, wenn er zu Hause war, und weiter unter der großen vorderen Veranda. Wenn er Kohlen schaufelte, konnte er Mäuse und größere Nagetiere dort wuseln hören, und in einer kalten Nacht hatte er sich einmal rasch umgedreht und rötliche Augen erblickt, die ihn angestarrt hatten.
    Dales Eltern lobten ihn manchmal, wie ordentlich er den Schüttgutbehälter füllte und wie schnell er arbeitete. Für Dale waren diese zwanzig Minuten jeden Abend die schlimmste Zeit des Tages, und er arbeitete stets mit halsbrecherischer Geschwindigkeit, damit er den verdammten Schüttgutkasten voll bekam und wieder hinaus konnte. Es gefiel ihm, wenn der Kohlenkeller gerade gefüllt worden war und er nur neben der Luke stehen und schaufeln mußte. Später im Winter, wenn die Kohlenhalde zu einem kleinen Haufen in der hinteren Ecke geschrumpft war, mußte er durch den ganzen Kohlenkeller gehen, die Schaufel füllen, neun Schritte durch den Raum tragen, sie hineinschütten und dabei dem Kriechraum den Rücken zuwenden.
    Dale mochte den Sommer unter anderem, weil er da keine Kohlen schaufeln mußte. Jetzt zeigte ihm ein Blick, daß nur noch ein winziges Häufchen schwarzer Kohle in der hinteren Ecke lag. Das Licht von der Treppe oben warf kaum einen Schein in den Kohlenkeller; der Kriechraum lag in völliger Schwärze.
    Dale ertastete die erste Lichtkordel, blinzelte in der plötzlichen Helligkeit, ging um die Masse des Ofens herum in den zweiten Raum - der einzig und allein den Ofen enthielt -, schritt durch den dritten Raum, wo sein Dad eine Werkbank mit nur ganz wenig Werkzeugen stehen hatte, und bog dann nach rechts in den hintersten Raum ein, wo seine Mutter Waschmaschine und Trockner stehen hatte.
    Sein Vater hatte einmal gesagt, es wäre eine Heidenarbeit gewesen, die Maschine und den Trockner dort hinunter zu bekommen, und sollten sie je umziehen, würden beide da unten bleiben. Dale glaubte ihm; er konnte sich noch erinnern, wie sein Dad, die Lieferanten von Sears, Mrs. Somerset und zwei andere Nachbarn sich über eine Stunde lang mit den beiden Maschinen geplagt hatten. Es gab keine Fenster im hinteren Raum - in keinem Keller -, und die Lichtkordel hing in der Mitte. An der Südwand schien eine neunzig Zentimeter durchmessende Öffnung in die Dunkelheit hinabzuführen. Das war eine große Sik-kergrube, die Wasser aus dem Keller fernhielt, der unter dem hiesigen Wasserspiegel gelegen war. Dennoch war der Keller in den viereinhalb Jahren, seit sie hier wohnten, viermal überschwemmt worden, und Dales Dad mußte einmal durch Wasser waten, das mehr als sechzig Zentimeter hoch stand, um die Pumpe zu reparieren.
    Dale warf die schmutzigen Kleidungsstücke auf die Waschmaschine, machte im Vorbeigehen das Licht durch ein Ziehen an der Kordel wieder aus und eilte zurück -vom hinteren Raum in die Werkstatt, von der Werkstatt zum Heizraum, vom Heizraum zum Flur - diesmal ohne in den Kohlenkeller zu sehen -, dann die zehn Riesenstufen hinauf und herum zur obersten Stufe. Es war so kühl und feucht im Keller, daß es fast wie ein Schock war, die schwüle Luft zu spüren, die zum Fliegengitter der Verandatür hereindrang, und die samtene Dämmerung im Westen über dem Haus der Grumbachers zu sehen.
    Dale watschelte hastig durch die Küche, weil es ihm peinlich war, daß er nur Unterhosen trug. Lawrence plätscherte schon in der Wanne und machte Angriffsgeräusche eines Unterseeboots. Glücklicherweise war Dales Mutter draußen auf der vorderen Veranda, daher schlitterte er fast auf bloßen Füßen durch die Diele, lief die Treppe hinauf und ging über den Treppenabsatz in sein Zimmer, wo er sich

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