Sommer der Nacht
wählte. Aber Don
Alonso, der als Papst Kalixtus III. bekannt wurde, gebrach es entweder an Mumm, die Opfergaben fortzuführen, oder er glaubte, die Macht der Säule wäre verbraucht worden, indem sie ihm Zugang zur Macht verschafft hatte. Aus welchen Gründen auch immer, die Opfer wurden aufgegeben. Papst Kalixtus starb. Die Glocke wurde im Turm das Palastes von Don Alfonsos Neffen Rodrigo y Borja, Kardinal von Rom, Nachfolger des Erzbischofs von Valencia und erster wahrer Erbe der Borgia-Dynastie, aufgehängt.
Doch die Legende berichtet weiter, daß die Säule, die nun als Glocke verkleidet war, ihre eigenen Bedürfnisse noch lange nicht erschöpft hatte. < Nach dem Bad ging Dale Stewart in sein Zimmer. Lawrence lag in seinem Bett. Besser gesagt, er war darauf 'und saß mit überkreuzten Beinen in der Mitte. Er stellte einen seltsamen Gesichtsausdruck zur Schau.
»Was ist denn los?« fragte Dale.
Lawrence war so blaß, daß seine Sommerprossen sich abzeichneten. »Ich... ich weiß nicht. Ich bin reingekommen, um das Licht anzuschalten und... und ich hab' was gehört.«
Dale schüttelte den Kopf. Er erinnerte sich, vor drei Jahren hatten sie einmal allein ferngesehen, als ihre Mutter einkaufen gewesen war. Es war ein Winternachmittag gewesen, und sie hatten sich als samstagnachmittäglichen Monsterfilm Die Rache der Mumie angesehen. Kaum war der Film vorbei gewesen, hatte Lawrence etwas in der Küche >gehört<... denselben langsamen, schleppenden Schritt der Mumie in dem Film. Damals hatte sich Dale von der Panik seines kleinen Bruders anstecken lassen; sie hatten das Fenster aufgemacht und waren in den Vorgarten gesprungen, als die >Schritte< näher gekommen waren. Ihre Mutter war nach Hause gekommen und hatte sie zitternd in Socken und T-Shirts auf der Veranda vorgefunden.
Nun, jetzt war Dale elf, keine acht mehr. »Was hast du gehört?« fragte er.
Lawrence sah sich um. »Weiß nicht. Ich habe es eigentlich nicht richtig gehört... ich habe es mehr gespürt. Als wäre noch etwas im Zimmer.«
Dale seufzte. Er warf schmutzige Socken in den Wäschekorb und machte das Deckenlicht aus.
Die Schranktür stand einen Spalt offen. Dale schubste sie zu, als er zu seinem Bett ging.
Die Tür fiel nicht ins Schloß.
Dale dachte, daß ein Hausschuh oder etwas im Weg wäre, blieb stehen und drückte fester.
Die Tür erwiderte den Druck. Etwas im Schrank drückte dagegen, weil es herauswollte.
Im Keller wischte sich Duane des Gesicht mit einem Taschentuch ab. Normalerweise war es selbst an den heißesten Sommertagen kühl hier unten, aber er stellte fest, daß er schwitzte. Das Buch lag offen auf seinem >Schreib-tisch<, der aus einer Tür und Sägeböcken bestand. Duane hatte so schnell er konnte wichtige Informationen in sein Notizbuch übertragen, aber jetzt legte er den Stift weg und las nur noch.
Er konnte die verkehrte Schrift seines Onkels jetzt fast ohne Spiegel entziffern, hielt das Glas aber trotzdem an das Tagebuch:
Die Bildsäule der Offenbarung, nun zur Glocke gegossen, war durch das Opfer der Enkelin des ersten Borgia-Papstes teilweise aktiviert worden. Aber laut dem Buch des Ottaviano fürchteten die Borgias die Macht der Säule und waren nicht bereit für die Apokalypse, die den Legenden und Überlieferungen zufolge mit dem völligen Erwachen der Säule einhergehen sollte. Wie im Buch des Gesetzes aufgezeichnet ist, verlieh die Säule der Offenbarung allen, die ihr dienten, große Macht. Gleichzeitig aber wurde der Talisman,
wenn alle erforderlichen Opfer vollzogen waren, zur Totenglocke der letzten Tage: einem Vorboten der Apokalypse, die der Belebung der Säule nach sechzig Jahren, sechs Monaten und sechs Tagen folgen sollte. Rodrigo, der nächste Papst der Borgia-Dynastie, ließ die Glocke in den Turm bringen, den er den Anlagen des Vatikan hinzugefügt hatte. Dort, im Torre Borgia, soll Alexander - wie Rodrigo Borgia sich als Papst nannte - angeblich die Glocke durch mystische Wandbilder eines halb derangierten Gnoms von einem Künstler mit Namen Pin-turicchio an der endgültigen Belebung gehindert haben. Diese >grotesques<-Malereien, die man nach den Grotten unter Rom gestaltet hatte -dienten dazu, das Böse der Säule zu bannen, während sie der Familie gleichzeitig ermöglichten, von den Kräften des Talismans zu profitieren. Das jedenfalls dachte Papst Alexander. Sowohl im Buch des Gesetzes als auch in Ottavi-anos geheimen Büchern findet man Hinweise darauf, daß die Säule allmählich das
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